Wenige Tage vor der Kabinettsklausur in Meseberg wird Deutschland wieder als "kranker Mann Europas" gehandelt. Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), hält die Schwierigkeiten für lösbar – vorausgesetzt, es gelingt jetzt, das Ruder herumzureißen.
"Is Germany once again the sick man of Europe?", titelte jetzt das britische Wochenmagazin "The Economist". DIHK-Präsident Peter Adrian kam auf dpa-Anfrage zu einer ähnlichen Diagnose: "In fast allen anderen Ländern Europas kann die Wirtschaft beim Wachstum zulegen", stellte er fest. "In Deutschland wären wir schon froh, wenn wir am Jahresende mit null rauskommen. Unser Land ist nicht mehr Wachstumslokomotive, sondern Bremsklotz – und das als immerhin die größte Volkswirtschaft Europas."
Auf allen Ebenen ernsthaft abspecken
Als "fundamentale Probleme" nannte er hohe Energiepreise, den wachsenden Fachkräftemangel und fehlende Infrastruktur. Das Gute sei jedoch: "Die Probleme sind lösbar. Es ist aber Zeit, loszulegen. Wenn wir vor allem bei der inzwischen überbordenden Bürokratie und komplizierten Genehmigungsverfahren auf allen Ebenen ernsthaft abspecken, können wir in Zukunft auch wieder an alte wirtschaftliche Erfolge anknüpfen."
Ein Vergleich mit der Lage Deutschlands in den 90er-Jahre bringe immerhin einen Erfahrungsgewinn: "Wir können von damals lernen, dass die Politik den Hebel umlegen muss", so Adrian. "Und, dass es sich lohnt." Nicht zuletzt die Weichenstellungen der Agenda 2010 hätten neue Arbeitsplätze ermöglicht. Die Unternehmen seien entlastet worden, um investieren und erfolgreich sein zu können. Das habe dann auch Wachstum und Steuereinnahmen gesteigert.
"Ich hoffe, dass die Politik dieses Mal schneller reagiert"
Eine weitere Parallele: "Heute wie damals fehlt es an Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland. Deshalb bleiben Investitionen aus, die aber die wichtigste Voraussetzung für einen sich selbst tragenden Aufschwung sind." Allerdings sei der internationale Wettbewerb "heute noch intensiver als Ende der 90er-Jahre", gab der DIHK-Präsident zu bedenken. "Anders als damals zeigen sich unsere strukturellen Wirtschaftsschwächen weniger auf dem Arbeitsmarkt, sondern an anderen Stellen wie etwa der Inflation oder bei den Energiepreisen. Ich hoffe, dass die Politik dieses Mal schneller reagiert. Wir haben bereits wertvolle Zeit verloren. Es gilt, das Ruder rumzureißen."
Ständig mehr Pflichten, Anforderungen und Einschränkungen
Mit Blick auf die anstehende Kabinettsklausur erinnerte Adrian an das "Belastungsmoratorium", das die Bundesregierung vor fast einem Jahr beschlossen hatte. "Seitdem sind die Belastungen für die Unternehmen aber deutlich größer geworden", kritisierte er. Aus Perspektive der Unternehmerinnen und Unternehmen kämen aus Berlin und Brüssel ständig mehr Pflichten, Anforderungen und Einschränkungen. "Hier brauchen wir einen klaren Kurswechsel – vor allem mehr Tempo für alle Planungs- und Investitionsvorhaben." Das helfe beim Ausbau der erneuerbaren Energie und der Sanierung von Brücken und Schulen genauso wie bei der Digitalisierung des Landes.
Adrian: "Für die deutsche Wirtschaftspolitik muss gelten, was jeder Betrieb in seiner Verantwortung machen sollte: einfacher, schneller und innovativer werden. In der Wirtschaft ist es ähnlich wie im Sport: Wer sich auf früheren Erfolgen ausruht, bleibt auf der Strecke. Denn die Wettbewerber schlafen nicht."
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Dr. Jupp ZenzenReferatsleiter Konjunktur, Wachstum, Unternehmensbefragungen