Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich Schiedsklagen privater Investoren gegen EU-Mitgliedstaaten für unzulässig erklärt. Aus Sicht der Wirtschaft ist das ein überaus negatives Signal für den Standortfaktor Recht in Deutschland und der EU – vor allem aber auch für den Umbau der Energieversorgung.
Der Hintergrund: Auslandsinvestitionen im Energiebereich sind durch den internationalen Energiecharta-Vertrag (ECT) von 1994 geschützt. Immer mehr EU-Mitgliedstaaten kündigen das völkerrechtliche Abkommen, Deutschland im Jahr 2022. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) versucht seit 2018, Klagen von Investoren gegen EU-Mitgliedstaaten auch international einzuschränken.
Völkerrechtliche ICSID-Schiedsverfahren bedroht
Die Mehrzahl der Verfahren zum ECT betrifft den Investitionsschutz bei erneuerbaren Energien. So auch einer der Fälle, die zuletzt vor dem BGH gelandet sind. Dabei ging es um drei Investoren, deren langfristigen Energieprojekte in Kohlekraftwerke beziehungsweise in Offshore-Windkraftanlagen aufgrund von Gesetzesänderungen in den Niederlanden und Deutschland in wesentlichen Teilen entwertet wurden. Sie klagten ihre Rechte nach den ECT beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) ein – einem Schiedsgericht, das zur Weltbankgruppe gehört.
Dagegen wiederum wehrten sich die nationalen Regierungen vor dem BGH – mit Erfolg. Schon die Berufung auf Völkerrecht und damit zugleich die beim ICSID eingeleiteten Schiedsverfahren verstießen gegen EU-Recht, hieß es aus Karlsruhe. Diese Entscheidung ist gerade für die exportorientierte deutsche Wirtschaft sehr problematisch.
Stephan Wernicke, Chefjustiziar der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), erklärte auf Medienanfragen, es gebe seit einiger Zeit einen "massiven Rückgang von Direktinvestitionen" aus Drittstaaten in der EU, insbesondere aber auch in Deutschland. Wenn nun der Rechtsschutz für Investoren reduziert werde, sinke das Vertrauen in den Standort noch weiter, so seine Befürchtung: "Der BGH, indirekt aber auch die EU, senden damit das Signal, dass ein völkerrechtlicher Schutz nicht mehr gewährleistet ist. Für Investoren ist das schlecht."
Aus deren Sicht sei durchsetzbares Recht ein "wichtiger Standortfaktor", gab der DIHK-Chefjustiziar zu bedenken. "Allein die Tatsache, dass man sich darauf berufen kann, ist vor Ort überaus bedeutsam."
BGH: Europarecht bricht Völkerrecht
Deutschland habe völkerrechtlich immer dafür gesorgt, dass Außenhandel in einem rechtlichen Rahmen stattfinden könne – das sei nun vorbei, kritisierte er angesichts der Aushebelung nicht allein des ECT, sondern angesichts des weiten Anwendungsbereichs des Urteils möglicherweise weiterer völkerrechtlicher Pflichten der Bundesrepublik. "Europarecht bricht Völkerrecht – das sollte uns sehr beunruhigen!"
Europa und Deutschland befänden sich daher an einem rechtspolitischen Scheideweg, warnte Wernicke. "Ohne internationales Recht und verlässlichen Rechtsschutz ist gerade der Umbau der Energieerzeugung stark gefährdet. Das ist jedenfalls nicht die regelgeleitete, völkerrechtsbasierte Außen- und Wirtschaftspolitik, die uns diese Bundesregierung angekündigt hat." Die Verlässlichkeit völkerrechtlicher Schutzmechanismen und die das Völkerrecht in Teilen aushebelnde, extraterritoriale Wirkung des EU-Rechts wird nunmehr weltweit diskutiert.
Rechtspolitische Standortdebatte nötig
Wernicke hofft dennoch auf eine Korrektur aus Luxemburg. Ein intensiver Austausch mit dem EuGH sei notwendig. "Wir brauchen diese rechtspolitische Standortdebatte, um uns nach den selbstbezogenen Urteilen der letzten Jahre wieder zu öffnen. Die Negativspirale ist schon im Gange, da müssen wir raus."
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Isabel BlumeReferatsleiterin mit dem Themenschwerpunkt Recht der Europäischen Union und Internationales Wirtschaftsrecht