Erstmals seit 2015 treffen sich am 17. Juli in Brüssel die Staatschefs der EU und Lateinamerikas. Die Wirtschaft appelliert an die Europäische Union, die Chance für einen zeitnahen Abschluss der Freihandelsabkommen mit Mercosur, Mexico und Chile zu nutzen.
"Die EU muss das Zeitfenster für einen engen wirtschaftlichen Schulterschluss mit Lateinamerika unbedingt nutzen", mahnt Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Aus stärkeren Handels- und Investitionsbeziehungen ergäben sich "große ökonomische Potenziale" gerade auch für die international eng vernetzte deutsche Wirtschaft.
Treier: "Wenn die Handelsabkommen der EU mit Mercosur, Mexiko und Chile rasch ratifiziert werden, können wir die Wirtschaftsbeziehungen endlich auf ein höheres Niveau ziehen. Andere Wirtschaftsmächte wie zum Beispiel China buhlen bereits um die Gunst Lateinamerikas."
Die genannten Abkommen könnten wichtige Wachstumsimpulse geben und die dringend benötigte Diversifizierung der Lieferketten der Wirtschaft – insbesondere mit dem Blick auf die Rohstoff- und Energieversorgung – entscheidend voranbringen, stellt der DIHK-Außenwirtschaftschef klar. "Gleichzeitig wäre ein wechselseitig verbesserter Zugang insbesondere zu wichtigen Branchenmärkten wie Maschinenbau, Automobil- sowie der Ernährungsindustrie auch für die deutsche Exportwirtschaft von großer Bedeutung."
"Während meiner letzten Reisen nach Lateinamerika und mehrfach nach Brasilien konnte ich deutlich erkennen, dass diese Länder ein enormes Interesse am Abschluss von Handelsabkommen mit der EU haben", berichtet Ingo Kramer, Vorsitzender der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI). "Dieses Interesse beruht auf gemeinsamen Zielen und gegenseitigem Respekt, wie ich in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern dieser Länder auch in Berlin immer wieder erfahren durfte."
Neben dem enormen wirtschaftlichen Potenzial der Region sei es "unbestreitbar, dass wir nur gemeinsam globale Herausforderungen wie den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität bewältigen können", so Kramer. "Sowohl die Region als auch Deutschland haben ein Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit. Dabei sind wir Europäer nicht in der Situation, dass wir unseren Gesprächspartnern schulmeisternd Ratschläge erteilen dürfen."
Nach wie vor große Hürden
In den Wirtschaftsbeziehungen mit den Mercosur-Ländern existieren noch immer große Handelshemmnisse: Rund 85 Prozent der europäischen Ausfuhren in den Mercosur sind mit Zöllen belastet, was für die Unternehmen Kosten in Höhe von jährlich 4 Milliarden Euro bedeutet.
Der deutsche Außenhandel mit den Ländern Lateinamerikas hatte 2022 ein Volumen von 72 Milliarden Euro – allein mit dem Mercosur waren es 27 Milliarden Euro. 12.500 deutsche Unternehmen exportieren nach Mercosur, 72 Prozent davon sind kleine und mittelständische Unternehmen. Diese deutschen Exporte unterstützen laut EU-Angaben in Deutschland 244.000 Jobs; EU-weit sind es 855.000.
Einer aktuellen DIHK-Umfrage zufolge wird Lateinamerika für jedes fünfte deutsche auslandsaktive Unternehmen immer wichtiger, um aktuellen wettbewerblichen und geopolitischen Spannungen entgegentreten zu können. Andere große Wettbewerbsnationen wie China haben sich in den letzten Jahren schon stärker den lateinamerikanischen Ländern zugewandt und so auch deutsche und europäische Marktanteile zurückgedrängt.
Treier: "Daher sollten die EU und die Bundesregierung bei den laufenden Handelsverhandlungen nicht unnötig Zeit verschwenden. Wir dürfen handelspolitisch nicht weiter abgehängt werden."
Kontakt
Klemens KoberReferatsleiter Handelspolitik, transatlantische Beziehungen und EU-Zollfragen