Vor empfindlichen Lücken in der europäischen Gasversorgung bereits für den kommenden Winter warnt das Energieforschungs- und Business-Intelligence-Unternehmen Rystad Energy in einer jüngst veröffentlichten Studie. Vor 2024 sei keine Entlastung zu erwarten.
Energieforscher erwarten Gas-Versorgungskrise für den Winter
Rystad-Energy-Studie: Engpässe in der EU bis ins Jahr 2024Mitte Mai will die EU-Kommission ihren "REPowerEU"-Plan vorstellen. Darin hat sie sich vorgenommen, die Abhängigkeit von russischem Gas noch vor Ende des laufenden Jahres um zwei Drittel zu verringern. Gleichzeitig sollen die Gasspeicher bis zum 1. November 2022 zu 80 Prozent, künftig alljährlich zu 90 Prozent ihrer Kapazität aufgefüllt werden. Rystad Energy sieht darin einen Zielkonflikt.
North-Stream-II-Aus halbiert Anteil russischer Gasimporte
2021 habe Russland mit Lieferungen von 155 Milliarden Kubikmetern Gas die Versorgung der Europäischen Union zu mehr als 31 Prozent gesichert, rechnen die Energieforscher vor. Wäre die mittlerweile blockierte North-Stream-II-Pipeline an den Start gegangen, hätten die russischen Gas- und LNG-Importe bis 2030 auf über 40 Prozent der EU-Versorgung zugelegt. Weil die derzeitigen Verträge nicht verlängert werden, werde dieser Anteil bis 2030 auf etwa 20 Prozent sinken.
Sofortiger Lieferstopp würde Speicher noch vor Jahresende leeren
Die Rystad-Analysten gingen Anfang Mai noch davon aus, dass die europäischen Gasspeicher zu 35 Prozent gefüllt seien (mittlerweile sind es allerdings durchschnittlich 40 Prozent). Sollten die russischen Gasflüsse kurzfristig zum Erliegen kommen, wäre das derzeit gespeicherte Gas nach Einschätzung der Forscher wahrscheinlich noch vor Jahresende aufgebraucht. In diesem Szenario – das keine gemeinsamen Kaufvereinbarungen und einen Bieterwettbewerb der Länder um die knappen verfügbaren Mengen vorsieht – würde der europäische Terminmarkt-Gaspreis TTF laut Rystad auf über 100 US-Dollar pro Million britischer thermischer Einheiten steigen. Dies würde zu Einschränkungen in der Industrie und einem weit verbreiteten Brennstoffwechsel im Stromsektor führen, warnen die Verfasser der Studie.
LNG würde Versorgungslücken zunächst nicht schließen
Der Studie zufolge wäre das Angebot an Flüssigerdgas (LNG) nicht ausreichend, um diese Lücken zu schließen. Rystad beziffert die weltweite Nachfrage nach LNG im Jahr 2022 auf voraussichtlich 436 Millionen Tonnen, das verfügbare Angebot nur auf 410 Millionen Tonnen. Auf dem LNG-Markt seien daher eine dauerhafte Versorgungslücke, hohe Preise, extreme Volatilität, Bullenmärkte und eine verschärfte LNG-Geopolitik zu erwarten, so die Analysten.
Immerhin schafften das Ungleichgewicht auf der Angebotsseite und die hohen Preise das günstigste Umfeld für LNG-Projekte seit mehr als einem Jahrzehnt, so Rystad. Die Lieferungen aus diesen Projekten würden jedoch erst nach 2024 für Entlastung sorgen.
So hätten kürzlich mehr als 20 LNG-Projekte mit einer Gesamtkapazität von über 180 Millionen Tonnen pro Jahr Fortschritte bei ihrer Entwicklung gemeldet. Um eine sichere Versorgung mit LNG im Jahr 2030 zu gewährleisten, benötige der Markt eine Produktion von mehr als 150 Millionen Tonnen pro Jahr. Geplant seien 186 Millionen Tonnen, so die Energieforscher, damit müssten bis dahin mehr als 80 Prozent der Projektreserve realisiert werden.
Mehr Infos zu den Ergebnissen der Studie gibt es auf der Website von Rystad Energy.