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Nachhaltige Staatsfinanzen in der EU

Diskussionen um die Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes

© Zerbor / iStock / Getty Images Plus

Über den Umgang mit der hohen Staatsverschuldung in der Eurozone infolge der Corona-Pandemie und eine mögliche Reform der Verschuldungsregeln sind sich die EU-Finanzminister uneinig. Auch in Deutschland steht die Diskussion erst am Anfang.

Schulden in der EU sind deutlich gestiegen – aber nicht überall hoch

Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr für den gesamten Euroraum ein Haushaltsdefizit von 8,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einen Schuldenstand von 102 Prozent des BIP. Der bislang gültige, aber bis Ende 2022 ausgesetzte Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht als Zielgrößen ein Haushaltsdefizit nicht höher als drei Prozent des BIP und eine maximale Staatsverschuldung von 60 Prozent des BIP vor (die sogenannten Maastricht-Kriterien).

In der EU-Kommission besteht seit längerem der Wunsch, über die Zukunft des Paktes zu diskutieren. Unmittelbar muss entschieden werden, ob diese Haushaltsregel nach 2022 wieder in Kraft gesetzt werden. Daneben gibt es in einigen Mitgliedsländern den Wunsch nach einer Reform der Regeln. Aktuell wird vor allem um die Frage gestritten, ob beide Punkte miteinander verbunden werden sollen.

Für eine schnelle Reform

Für eine Reform vor 2022 haben sich unter anderem Frankreich, Spanien und Italien ausgesprochen. Argumente dieser Gruppe sind unter anderem die zu großen Unterschiede beim Schuldenstand in der Euro-Zone. Es erscheint ihnen danach unrealistisch, auf einen gemeinsamen Referenzwert von 60 Prozent vom BIP hinzuarbeiten. Die aktuellen Schuldenstände (30. Juni 2021) sind: Frankreich 118 Prozent des BIP, Italien 160 Prozent, Spanien 125 Prozent und Griechenland sogar 209 Prozent. Dazu kommen nach Auffassung dieser Länder die hohen Investitionen, die langfristig unter anderem im Klimaschutz erforderlich sind. Die Regierungen befürchten, dass sie für die Erholung ihre Wirtschaft durch die Befolgung der Regeln zum Schuldenabbau weniger Impulse setzen können. Außerdem wollen sie die Möglichkeit haben, mit öffentlichen Mittel eine nationale und europäische Industriepolitik umzusetzen, um so die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen, zum Beispiel gegenüber China und den USA, zu stärken.

Keine Reform der Maastricht-Kriterien

Deutlich gegen eine schnelle Reform und eine Lockerung der Regeln sprechen sich Länder aus, die auch nach der schwierigsten Phase der Corona-Pandemie eine vergleichsweise moderate Schuldenstandsquote haben. Dazu gehören neben Österreich (87 Prozent Staatsschulden zum BIP), Dänemark (41 Prozent), Lettland (46 Prozent), Slowakei (60 Prozent), Tschechien (44 Prozent), Finnland (70 Prozent), Niederlande (55 Prozent) und Schweden (40 Prozent). Sie befürworten eine schnelle Rückkehr zum geltenden Pakt und damit einen flexiblen, wenngleich konsequenten Schuldenabbau. Als Grundprinzip soll gelten, dass die Verschuldungsquoten der Staaten durch ein kräftiges Wirtschaftswachstum mittel- und langfristig wieder sinken sollen. Wenn eine Reformdiskussion geführt wird, setzen sich diese Länder dafür ein, dass die Entscheidung über eine mögliche Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unabhängig von seiner Wiederinkraftsetzung gefällt wird.

Weil die skizzierten „Fronten“ vergleichsweise stabil sind, dürften sich die Diskussionen um eine Anpassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Europa noch lange hinziehen. Mehrheitsentscheidungen gibt es nicht.

Verschiedene Standpunkte in der EU-Kommission

Innerhalb der EU-Kommission sind ebenso unterschiedliche Standpunkte bekannt. So neigt Wirtschaftskommissar Gentiloni inhaltlich zur französischen Position. Vizepräsident Dombrovskis betont stärker die Bedeutung nachhaltiger Staatshaushalte und möchte dieses mit der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Aufschwungs ausbalancieren.

Die aktuelle deutsche Position

Die amtierende Bundesregierung hat bisher zurückhaltend auf den Reformbedarf reagiert. Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass die Budget- und Verschuldungsregeln eine ausreichende Flexibilität und genügend Handlungsspielräume bieten. Gleichwohl gab es bereits vor der Bundestagswahl auch in Deutschland eine Diskussion um Lockerungen bei den Fiskalregeln, häufig verbunden mit dem Wunsch nach einer expliziten zusätzlichen Investitionsregel. Dieses Thema wird sicherlich Gegenstand künftiger Koalitionsverhandlungen sein.

Nachhaltige Staatsfinanzen sind für Unternehmen wichtig

Im jüngsten DIHK-Unternehmensbarometer 2021, das der DIHK am 29. September 2021 veröffentlicht hat, sprechen sich zwei Drittel der Unternehmen für eine schnelle Rückkehr zu den Regeln der Schuldenbremse, der deutschen Verankerung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, aus. In einigen Branchen ist die Zustimmung sogar noch höher, so unter anderem im Bau, dessen Unternehmen ja auch von öffentlichen Investitionsaufträgen profitieren. Gleiches gilt für von den Auswirkungen der Corona-Krise besonders betroffenen Branchen, wie zum Beispiel der Reisewirtschaft, die auf die schnelle Reaktion des Staates in Form von Corona-Hilfen angewiesen waren und zum Teil noch sind.

Kontakt

Porträtfoto Malte Weisshaar
Malte Weisshaar Referatsleiter Steuern in der EU | EU-Haushalt | Energiesteuern