Bereits nach dem Brexit-Referendum haben sich die deutsch-britischen Wirtschaftsbeziehungen abgekühlt; seit Jahresbeginn ist das Vereinigte Königreich nun auch nicht mehr Mitglied im Binnenmarkt der Europäischen Union. Was die Unternehmen hierzulande vom UK-Geschäft erwarten, hat der DIHK in einer Sonderauswertung seiner bundesweiten Umfrage "Going International 2021" ermittelt.
"Going International 2021" wurde mit Unterstützung der 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland im Februar erstellt. Die Sonderauswertung zum Brexit basiert auf den Antworten von rund 1.500 Unternehmen, die mit Großbritannien geschäftlich in Verbindung stehen.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Binnenmarkt wirkt sich negativ auf die deutsch-britischen Geschäfte aus. Der Abschluss des Handels- und Kooperationsabkommens kann dies nur teilweise auffangen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die eine weitere Belastung für das britische Auslandsgeschäft deutscher Unternehmen darstellen.
60 Prozent der Unternehmen beurteilen ihre aktuelle Geschäftssituation im Vereinigten Königreich als schlecht; 57 Prozent erwarten für 2021 eine weitere Verschlechterung.
Drei von vier Unternehmen haben oder erwarten zusätzliche Zollbürokratie. Daneben sind Logistikprobleme, rechtliche Unsicherheiten und eine Zunahme von tarifären Handelshemmnissen die häufigsten Auswirkungen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus dem europäischen Binnenmarkt für die Unternehmen.
15 Prozent der Unternehmen planen Investitionsverlagerungen vom Vereinigten Königreich in andere Staaten – vornehmlich nach Deutschland und in andere Länder der EU.
Folgen des Brexit für deutsche Unternehmen
Auswirkungen des Handels- und Kooperationsabkommens
Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt zum 1. Januar 2021 ist zwischen UK und der Europäischen Union das Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK Trade and Cooperation Agreement, TCA) vorläufig in Kraft.
Für deutsche Unternehmen ergeben sich daraus in ihrem britischen Auslandsgeschäft zahlreiche Änderungen. Dazu gehören zum Beispiel neue Zollanmeldungen und Zollkontrollen im grenzüberschreitenden Warenverkehr. Der DIHK geht davon aus, dass deutsche Unternehmen nun jährlich rund zehn Millionen Zollanmeldungen einreichen müssen.
Handel über den Ärmelkanal bereits eingebrochen
Das deutsch-britische Handelsvolumen umfasst rund 102 Milliarden Euro. Aktuell ist das Vereinigte Königreich Deutschlands achtwichtigster Handelspartner; damit verliert es im dritten Jahr in Folge einen Platz in der Rangfolge. 2017 rangierte UK noch auf Platz fünf der größten deutschen Handelspartner.
Die deutschen Exporte auf die britische Insel sind seit dem Referendum 2016 merklich gesunken: von 89 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf rund 67 Milliarden Euro im Jahr 2020. In diesem Zeitraum fiel das Vereinigte Königreich auf der Liste der wichtigsten Exportmärkte Deutschlands von Rang drei auf Rang fünf zurück.
Im Vorjahresvergleich sanken die deutschen Ausfuhren auf die britische Insel im Jahr 2020 um 15 Prozent. Für 2021 erwartet der DIHK auf Grundlage der Unternehmensantworten eine Stagnation der Exporte nach UK; damit dürfte das Land in der Rangliste der deutschen Ausfuhren sogar auf Platz sechs abrutschen.
Etwa 750.000 Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Export nach Großbritannien ab.
Einschätzung der Unternehmen
Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt beurteilen die deutschen Unternehmen ihre britischen Geschäftsbeziehungen so negativ wie noch nie seit Beginn der Sondererhebungen zum Brexit im Jahr 2017. Drei von fünf Unternehmen bewerten ihre Geschäfte mit UK als schlecht. Lediglich 10 Prozent bezeichnen ihre Lage als gut.
Zum Vergleich: Die Geschäftsbeziehungen zu EU-Ländern ohne Euro-Währung schätzen 29 Prozent der deutschen Unternehmen als gut ein, 23 Prozent als schlecht. Das geschäftliche Verhältnis zu den Ländern der Eurozone ist für 33 Prozent der Betriebe positiv, für 21 Prozent negativ. Gegenüber der Vorjahresumfrage, die die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie noch nicht abbildete, ist die Stimmung im Auslandsgeschäft mit den Briten deutlich trüber geworden.
Überwiegend negativ bewerten die deutschen Unternehmen auch ihre Perspektiven im Vereinigten Königreich in den kommenden zwölf Monaten. 57 Prozent sehen für diese Zeit eine weitere Verschlechterung ihrer Geschäftsbeziehungen zu UK, nur 7 Prozent rechnen mit einer Verbesserung. Zum Vergleich: Die Erwartungen an die Geschäfte mit anderen EU-Staaten ohne Euro (21 Prozent besser, 17 Prozent schlechter) und den Ländern der Eurozone (25 Prozent besser, 19 Prozent schlechter) fallen deutlich optimistischer aus.
Verlagerung von Investitionen geplant
Deutsche Unternehmen haben über 160 Milliarden Euro im Vereinigten Königreich investiert. Damit ist UK nach den USA der zweitgrößte Investitionsstandort deutscher Betriebe weltweit. In rund 2.500 deutschen Niederlassungen auf der britischen Insel werden über 400.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Unverändert zur Vorumfrage und trotz des Handels- und Kooperationsabkommens planen 15 Prozent der Unternehmen, die im Vereinigten Königreich investiert haben, eine Verlagerung ihres Engagements auf andere Märkte respektive haben dies bereits getan. Bei der ersten Erhebung im Jahr 2017 hatten nur 9 Prozent der Befragten entsprechende Absichten geäußert. Aktuell kehren die Investitionen vornehmlich zurück nach Deutschland oder in andere EU-Länder beziehungsweise in die Schweiz und nach Norwegen. Der Großteil der Betriebe mit Investitionsverlagerungen entscheidet sich für den Verbleib im EU-Binnenmarkt.
Auswirkungen des Brexit auf die Unternehmen
Wie im Vorjahr bewerten die Unternehmen die Zollbürokratie als das größte Geschäftsrisiko (75 Prozent). Die notwendigen Zollanmeldungen sind oftmals zeitaufwendig und mit zusätzlichen Kosten verbunden. Mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer hat zudem aktuell Probleme in der Logistik. So gibt es zum Beispiel Probleme mit der britischen Zoll-Software und angesichts der umfangreichen Dokumentationspflichten Überlastungen bei britischen Zöllnern und Zolldienstleistern sowie Geschäftspartnern.
Weiterhin sieht fast die Hälfte der Unternehmen rechtliche Unsicherheiten oder eine fehlende Planbarkeit im Geschäft mit UK. Schließlich sind beim Handels- und Kooperationsabkommen zukünftig in einzelnen Detailfragen Änderungen oder Konkretisierungen möglich. Gleichzeitig stehen verschiedene Deadlines an, in deren Folge Teile des Abkommens oder das Nordirlandprotokoll auslaufen könnten.
Leicht zurückgegangen ist hingegen die Sorge vor einer Zunahme tarifärer Handelshemmnisse – dennoch teilen 45 Prozent der Befragten diese Befürchtung. Da das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil zahlreicher EU-Handelsabkommen ist, können für Unternehmen in Großbritannien neue oder höhere Zölle auf Waren aus Drittländern anfallen.
43 Prozent der Befragten gehen von rückläufigen Exporten in das Vereinigte Königreich aus, 17 Prozent von sinkenden Importen aus UK nach Deutschland. Während zwei von fünf Unternehmen mit britischen Handelsbeziehungen die mittelfristige Verlangsamung des britischen Wirtschaftswachstums als Gefahr betrachten, hat das Wechselkursrisiko gegenüber der Vorjahresumfrage etwas an Bedeutung verloren (27 nach zuvor 39 Prozent).
Ein Viertel der Unternehmen bemerkt oder erwartet eine Zunahme von nicht-tarifären Handelshemmnissen. Dazu zählen etwa neue Zertifizierungsvorgaben wie die neue britische Produktkennzeichnung UKCA, die das europäische CE-Zeichen ersetzen wird. Dies wird von einigen Unternehmen in den Freitextantworten als Herausforderung genannt.
14 Prozent der Teilnehmer sehen in der Mitarbeiterentsendung ein Risiko, da Geschäftsreisen und Arbeitseinsätze im Vereinigten Königreich nun unter Umständen visumpflichtig sind. Da das Vereinigte Königreich bereits das Abweichen von EU-Standards und Regeln in verschiedenen Bereichen angekündigt hat, ist hier mit einer Zunahme an Hemmnissen zu rechnen. Lediglich 11 Prozent der Unternehmen erwarten keine besonderen Risiken.
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Carolin HerwegReferatsleiterin Internationale Konjunktur
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