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Fachkräftemangel – mit gravierenden Folgen

Fehlende Fachkräfte bleiben nicht folgenlos. Dies gilt für die betroffenen Unternehmen, aber auch für die Volkswirtschaft als Ganzes. Es stehen Wachstums- und Wohlfahrtspotenziale ebenso wie öffentliche Einnahmen auf dem Spiel, wenn Personalknappheiten die an sich mögliche Produktion und das Dienstleistungsangebot beschränken.

Insgesamt erwarten 85 Prozent der Betriebe unterschiedliche negative Effekte infolge von Fachkräfteengpässen, während 15 Prozent entweder keinen Fachkräftemangel haben beziehungsweise ihn auch künftig nicht erwarten oder nicht mit Folgen eines solchen Mangels rechnen. Insbesondere im Baugewerbe rechnen viele Betriebe mit Auswirkungen infolge fehlenden Personals (94 Prozent), aber auch in der Industrie (89 Prozent), bei den Dienstleistern (84 Prozent) und im Handel (82 Prozent) sind es nicht viel weniger.

Im Vergleich mit dem DIHK-Report Fachkräfte 2020 hat sich der Anteil, der nicht mit Folgen rechnet, geringfügig verringert (damals 16 Prozent). Auch wenn diese Änderung nur gering ausfällt, macht sie die zunehmenden Sorgen der Betriebe deutlich. Obwohl die Wirtschaft noch mit den Folgen der Corona-Krise zu kämpfen hat und in den Krisenmonaten die Personalnachfrage deutlich eingebrochen war und somit Arbeitskräfteengpässe weniger ins Gewicht fielen, liegt die Einschätzung der Unternehmen hinsichtlich der Folgen solcher Engpässe aktuell über dem Vorkrisenniveau.

Belegschaften müssen einspringen

An der Spitze der erwarteten Folgen steht aus Sicht der Unternehmen die Mehrbelastung der vorhandenen Belegschaft (61 Prozent). Dies ist in der Regel das Resultat, dass viele Betriebe kurzfristig auf Personalengpässe reagieren müssen, um Aufträge abzuarbeiten, Lieferfristen einzuhalten und Geschäftszeiten und Dienstleistungsangebote aufrecht erhalten zu können.

In der Industrie liegt der Anteil der Unternehmen, die mit einer Mehrbelastung des Personals rechnen, am höchsten (66 Prozent). In der Bauwirtschaft, die besonders stark von Engpässen betroffen ist, sind es mit 65 Prozent fast genauso viele. Es folgen Handel (62 Prozent) und Dienstleistungen (59 Prozent).

Beim Branchenvergleich zeigt sich, dass unter anderem die Gesundheitswirtschaft insgesamt (70 Prozent) und das Gastgewerbe (69 Prozent), aber noch deutlicher Reinigungsdienste (78 Prozent), der Handel mit gesundheitsbezogenen Gütern (74 Prozent) sowie die Abwasserentsorgung, Abfallbeseitigung (77 Prozent) überdurchschnittlich betroffen sind. Zum einen sind dort die Fachkräfteengpässe häufig besonders ausgeprägt und zum anderen erlauben die entsprechenden Dienstleistungen vielfach keinen Aufschub oder lassen sich nicht durch technische Lösungen ersetzen.

Mit steigender Unternehmensgröße nimmt auch der Anteil tendenziell zu, der von einer Mehrbelastung der Belegschaft ausgeht. Während es bei kleineren Mittelständlern mit bis zu 20 Beschäftigten 53 Prozent sind, sind von den großen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten 72 Prozent betroffen. Mit zunehmender Mitarbeiterzahl steigt in der Regel auch die Möglichkeit, dass Kolleginnen und Kollegen zeitweise zusätzliche Arbeiten übernehmen, wenn Personal fehlt. Kleinere Unternehmen sind dagegen öfter gezwungen, im Zweifel auf Angebote oder Aufträge zu verzichten, weil nicht ausreichend Personal verfügbar ist, das Aufgaben übernehmen könnte.

Der Unternehmensanteil, der von zusätzlicher Belastung der Beschäftigten ausgeht, ist zuletzt stabil geblieben. So waren es vor zwei Jahren 62 Prozent. Neueinstellungen vor der Corona-Pandemie und der etwas geringere Problemdruck der Fachkräfteengpässe in den Monaten der Pandemie konnten die Einschätzung der Unternehmen am aktuellen Rand nicht verändern. Die Erwartungen deuten damit auf eine gleich bleibende Entwicklung hin. Weitere Maßnahmen der Fachkräftesicherung sind nötig, da hohe Belastungen auch die Attraktivität der entsprechenden Berufe mindern, damit den dortigen Personalbestand weiter reduzieren und so die Engpassprobleme weiter verschärfen können.   

Sorge vor hohen Arbeitskosten

Fast sechs von zehn Unternehmen (58 Prozent) rechnen mit steigenden Arbeitskosten, um neue Fachkräfte zu gewinnen oder ihr Personal halten zu können. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. In der Industrie erwarten fast zwei Drittel steigende Arbeitskosten. Im EU-Vergleich der Arbeitskosten belegt die deutsche Industrie derzeit Rang vier. Ein Anziehen dieser Kosten als Folge von Personalengpässen kann daher die internationale Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen weiter verschlechtern.

Insgesamt – nicht nur mit Blick auf Kräfteengpässe – gewinnen die Arbeitskosten aus Sicht der Unternehmen aktuell wieder stärker an Bedeutung. So sehen 39 Prozent von ihnen hierin ein Geschäftsrisiko, während dieser Wert in den Monaten der Pandemie auf zwischenzeitlich 29 Prozent deutlich gesunken war. Auch als Standortfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit bewerten die Unternehmen die Höhe der Arbeitskosten wieder deutlich kritischer als in den letzten Jahren.17 Finden diese höheren Kosten Eingang in die Preise, mit der Folge einer einsetzenden Lohn-Preis-Spirale, kann dies negative Konsequenzen auf die aktuelle Inflationsentwicklung haben. Die Mindestlohnentscheidung der neuen Bundesregierung könnte in diesem Zusammenhang den Effekt weiter verschärfen.

Um gesuchte Fachkräfte gewinnen zu können, spielt zum einen ein attraktives Gehalt eine wichtige Rolle. Aber auch der Prozess der Personalgewinnung sowie Maßnahmen, um sich als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb um kluge Köpfe zu positionieren, schlagen sich auf der Kostenseite nieder. Dies gilt zum Beispiel mit Blick auf die Möglichkeiten zum mobilen und flexiblen Arbeiten inklusive der dafür nötigen Ausstattung sowie der Gestaltung der dazugehörigen Arbeitsprozesse. Ebenso zählen Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, attraktive Weiterbildungsangebote sowie Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung dazu. Auch die Fachkräftegewinnung im Ausland und die damit einhergehende betriebliche Integration inklusive Sprachkurse verursachen Kosten.

Besonders betroffen von durch Engpässe verursacht steigenden Arbeitskosten sehen sich unter anderem der Maschinenbau (70 Prozent) sowie Hersteller elektrischer Ausrüstungen (67 Prozent), für die das Exportgeschäft eine wichtige Rolle spielt und fehlendes Personal damit auch kostenseitig zur Hürde wird. Des Weiteren erwarten Unternehmen aus dem Bereich Lagerei und Verkehrsdienstleistungen (69 Prozent), Metallerzeugung (69 Prozent), Sicherheitswirtschaft (68 Prozent) sowie Gebrauchsgüterproduzenten (65 Prozent) steigende Arbeitskosten. Eine Weitergabe dieser Kosten würde sich damit auf etliche Wirtschaftsbereiche ausdehnen, die diese Leistungen beziehen – bis hin zum privaten Verbrauch.

Aufträge gehen verloren

Befürchtung der Unternehmen, dass sie ihre Angebotspalette einschränken und Angebote ablehnen müssen oder diese verlieren, weil ihnen die Fachkräfte dafür fehlen, haben im Vergleich zum Herbst 2019 weiter zugenommen. Aktuell erwarten dies 43 Prozent – vor zwei Jahren waren es 39 Prozent. Besonders betroffen ist die Bauwirtschaft – nicht zuletzt infolge der dort besonders ausgeprägten Fachkräfteengpässe und hoher Nachfrage, auch wenn sich dort die Situation ein wenig entspannt hat (62 Prozent gegenüber 66 Prozent). In der Industrie rechnen dagegen deutlich mehr Unternehmen mit Auftragsverlusten als vor zwei Jahren (37 Prozent gegenüber 28 Prozent), auch im Handel steigt die Zahl (von 28 Prozent auf 34 Prozent). Bei den Dienstleistern hat sich die ohnehin schon angespannte Lage noch einmal etwas verschärft (von 43 Prozent auf nun 47 Prozent).

Gerade für Betriebe, die in einem intensiven – auch internationalen – Wettbewerb stehen, erweist es sich als besonders problematisch, Aufträge ablehnen zu müssen, für die grundsätzlich eine Nachfrage besteht und die dann gegebenenfalls von ausländischen Konkurrenten übernommen werden. Auch langjährige Geschäftsbeziehungen stehen mitunter auf dem Spiel, wenn Kunden und Auftraggeber sich anderweitige Partner suchen müssen. Wenn dies zusätzlich zur aktuellen Rohstoffknappheit kommt, verschärft es die Entwicklung in den Betrieben.

Vielfach betroffen von solchen Einschränkungen sehen sich die Zeitarbeit (74 Prozent), Reinigungsdienste, das Ausbaugewerbe (jeweils 66 Prozent), der Straßengüterverkehr (64 Prozent), Architektur und Ingenieurdesign (61 Prozent), das Gastgewerbe (59 Prozent), Programmierung (56 Prozent), Gesundheits- und Sozialdienstleister (51 Prozent), IT-Dienstleister (51 Prozent) oder auch die Bildungswirtschaft (43 Prozent).

Die negativen Folgen von Angebotseinschränkungen oder dem Verlust von Aufträgen bleiben nicht auf die von Personalengpässen betroffenen Betriebe und Branchen beschränkt. Sie können sich vielmehr negativ auf ganze Produktions- und Lieferketten sowie die (betrieblichen) Endabnehmer auswirken. Fehlen zum Beispiel IT-Experten, betrifft dies auch Mittelständler, die Geschäftsprozesse digitalisieren oder sich um eine bessere Cybersicherheit kümmern möchten. Fehlen Lkw-Fahrer oder Beschäftigte im Logistikbereich, können industrielle Produktionsprozesse ins Stocken geraten, wenn nötige Vorprodukte nicht rechtzeitig geliefert werden, ebenso wird die Belieferung des Einzelhandels in Mitleidenschaft gezogen – Regale bleiben im Zweifel leer.

Liegen Personalengpässe im Bereich von Bau, Architektur und Ingenieurleistungen vor, verzögern sich oder unterbleiben Bauvorhaben – nicht zuletzt auch mit Blick auf klimaschutzrelevante Projekte. Personalknappheit bei Gesundheits- und Sozialdienstleistern gefährdet die Gesundheitsversorgung. Engpässe in der Bildungswirtschaft können Angebote für nötige Weiterbildungen beeinträchtigen, auch zum Beispiel für Sprachkurse. Die Betroffenheit der Zeitarbeit kann dazu führen, dass Entleihbetriebe nicht auf nötiges und flexibel einsetzbares Personal zurückgreifen können und damit selbst auf Produktion, Dienstleistungen und zum Beispiel temporäre Projekte verzichten müssen. Gastronomie und Handel sind zum Teil gezwungen, Öffnungszeiten zu verkürzen, zusätzliche Ruhetage einzuführen oder Serviceleistungen zu reduzieren. Das birgt die Gefahr, dass deren Angebote aus Kundensicht, aber auch ganze Regionen an Attraktivität verlieren.

Gerade kleinere Betriebe befürchten, ihre Angebote reduzieren zu müssen oder Aufträge zu verlieren. In der Größenklasse mit zehn bis 19 Beschäftigten gilt dies zum Beispiel für die Hälfte, bei den Großunternehmen "nur" für jedes vierte. KMU haben oftmals bei fehlenden Fachkräften weniger Möglichkeiten, flexibel zu reagieren und zum Beispiel Personal intern umzuschichten als dies bei großen Unternehmen der Fall ist, so dass der Verzicht auf Aufträge öfter notwendig wird.

Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit stehen auf dem Spiel

Jedes fünfte Unternehmen erwartet den Verlust von Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit infolge fehlender Fachkräfte. Diese Befürchtungen sind gegenüber 2019 gleich geblieben. Besonders Industriebetriebe (24 Prozent) sorgen sich um ihre Perspektiven. Diese stehen häufig international in einem ausgeprägten Wettbewerb und sind auf Innovationen und deren praktische Anwendung angewiesen. Die künftigen Herausforderungen zum Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung von Klimaschutz und Digitalisierung sowie für die Nutzung von KI-Anwendungen erfordern in einem Umfeld schnellen technischen Wandels ein hohes Maß an Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. In der Kfz-Branche zeigt sich mit dem Weg in die Elektromobilität die Notwendigkeit von Innovationen und deren Marktdurchsetzung in besonderem Maße. So stehen die Hersteller von Kraftwagen und hochwertigen Kraftwagenteilen mit Blick auf die Sorgen um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit mit ganz oben (35 Prozent). Gleiches gilt für Programmierer (37 Prozent), die auf IT-Fachkräfte angewiesen sind, sowie für Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten (30 Prozent), die beim Weg in die Digitalisierung "up to date" sein müssen. Auch Teile der Gesundheitswirtschaft sind alarmiert – unter anderem die Medizintechnik (37 Prozent) und die Händler mit gesundheitsbezogenen Gütern (31 Prozent).

Produktionsprozesse effizienter zu gestalten, um dadurch Produktivitätsgewinne zu erzielen, wird für viele Unternehmen künftig eine wichtige Aufgabe. Die Erfahrungen der weltweiten Pandemie haben zudem gezeigt, dass bisherige Geschäftsmodelle und internationale Lieferketten Schwächen haben können.Durch innovative Prozesse und Geschäftsformate können sich Unternehmen besser aufstellen. Das kann auch durch Investitionen in technische Lösungen als Reaktion auf Fachkräfteengpässe geschehen, auf die besonders häufig solche Unternehme setzen wollen, die gleichzeitig um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit fürchten.

Größere Unternehmen sind vielfach innovationsaktiver und häufiger international ausgerichtet. Daher sind sie es auch, die besonders oft die Gefahr von Fachkräfteengpässen für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit fürchten. Dies gilt für 30 Prozent der Großunternehmen, aber "nur" für 17 Prozent der Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten.

Auch mit Blick auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zeigen sich die gesamtwirtschaftlichen Risiken der Fachkräfteengpässe, die weit über die betriebliche Betroffenheit hinausgehen. Innovationen sind ein wesentlicher Treiber für technischen Fortschritt sowie für die nötige Steigerung der Produktivität und damit entscheidend für wirtschaftliches Wachstum – gerade in alternden Gesellschaften -, für Beschäftigung, Einkommen und Wohlstand insgesamt. All dies sind nicht zuletzt Voraussetzungen, um zum Beispiel künftig die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie zu tragen sowie notwendige Investitionen in Bildung vornehmen zu können. 


85 Prozent

Dass der wachsende Fachkräftemangel negative Konsequenzen für sie haben wird, befürchten 85 Prozent der Unternehmen.