Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte mit einem am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss die Verfassungswidrigkeit der bestehenden Regelungen zur Verzinsung von Steuernachzahlungen und -erstattungen (Vollverzinsung, §§ 233a, 238 AO) ab dem Verzinsungszeitraum 2014 festgestellt (0,5 Prozent pro Monat / 6 Prozent p.a.).
Jedoch wurde mit Blick auf die ansonsten drohenden, erheblichen Haushaltsauswirkungen eine Fortgeltungsanordnung für weiter zurückliegende Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 getroffen. Die bisherigen Bestimmungen dürfen erstmals für den Verzinsungszeitraum 2019 nicht mehr angewendet werden, vielmehr wurde der Gesetzgeber zu einer verfassungskonformen Neuregelung bis spätestens 31. Juli 2022 verpflichtet.
Frühzeitige Positionierung des DIHK zum Zinsanpassungsgesetz
Mit Blick auf die anstehenden Gesetzgebungsarbeiten hatte der DIHK gemeinsam mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft ein Leitlinienpapier erarbeitet, welche die aus Sicht unserer Unternehmen wichtigsten Punkte bei einer verfassungskonformen Neuregelung adressiert und praxisnahe Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.
Nachdem das Bundesfinanzministerium (BMF) am 22. Februar 2022 erste Details in einem Referentenentwurf veröffentlicht hatte, konnte am 23. Juni 2022 eine finale Gesetzfassung im Deutschen Bundestag verabschiedet werden, welche nach Zustimmung durch den Bundesrat am 8. Juli 2022 als sogenanntes „Zinsanpassungsgesetz“ im Bundesgesetzblatt verkündet wurde.
Zinsabsenkung ist langjährige Forderung der IHK-Organisation
Mit der Absenkung des Zinssatzes kommt der Gesetzgeber einer langjährigen Forderung der IHK-Organisation nach, welche immer wieder auf die augenfällige Diskrepanz zwischen dem aktuellen Niedrigzinsniveau (mit zeitweiligen Negativzinsen) und der gesetzlichen Zinshöhe von 6 Prozent p.a. hingewiesen hatte. Aus Sicht des DIHK war es daher umso bedauerlicher, dass erst das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu einer Anpassung bewegen musste.
Bei der Neuregelung wurde das Prinzip des starren und für Nachzahlungen wie Erstattungen einheitlichen Zinssatzes fortgeführt, zugleich aber eine Evaluierungsklausel eingeführt. Dabei sind insbesondere folgende Maßnahmen von besonderer Bedeutung:
- Der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO wird für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 rückwirkend auf 0,15 Prozent pro Monat (1,8 Prozent p.a.) gesenkt, § 238 Abs. 1a AO-neu.
- Mindestens in einem Zwei-Jahres-Turnus ist die Angemessenheit des Zinssatzes unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB zu evaluieren. Die erste Evaluierung muss spätestens zum 1. Januar 2024 erfolgen, § 238 Abs. 1c AO-neu.
- Bei der rückwirkenden Neuberechnung der Zinsen wird dem Vertrauensschutz durch Anwendung des § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO Rechnung getragen.
- Die weiteren Zinsregelungen in der Abgabenordnung, wie zum Beispiel Stundungs-, Hinterziehungs-, Prozess- oder Aussetzungszinsen (§§ 234 bis 237 AO) sind nicht von der Absenkung erfasst.
- Mit dem „Zinsanpassungsgesetz“ wurden zudem kleinere Modifikationen bei der Mitteilungspflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen vorgenommen und diese an EU-rechtliche Vorgaben (sogenannte „EU-Amtshilferichtlinie“) angepasst; § 138e Absatz 3 und § 138h Absatz 2 AO.
Verzicht auf Nachzahlungszinsen bei freiwilligen Zahlungen
Gemäß Nr. 70.1 des AEAO zu § 233a war bislang der Erlass von Nachzahlungszinsen im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung der Finanzverwaltung möglich, wenn vorab „freiwillige Zahlungen“ durch das Unternehmen geleistet worden sind. Mit der Neufassung von § 233 Abs. 8 AO wurde diese Möglichkeit nunmehr gesetzlich verankert. Da § 233 AO – im Gegensatz zum AEAO – auch für die Gewerbesteuer gilt, wird es nunmehr möglich, auch bei der Verzinsung von Gewerbesteuernachforderungen durch die Kommunen auf die Festsetzung der betroffenen Nachzahlungszinsen von vornherein zu verzichten (abweichende Zinsfestsetzung) oder festgesetzte Nachzahlungszinsen zu erlassen. Die Annahme freiwilliger Zahlungen steht jedoch – entgegen den Forderungen des DIHK – auch weiterhin im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden beziehungsweise der Gemeinden. Eine Annahmepflicht besteht mithin nicht. Nimmt jedoch die Finanzbehörde oder Kommune die freiwillige Zahlung an, steht der Zinsverzicht nicht in ihrem Ermessen: Entsprechende Nachzahlungszinsen sind daher qua Gesetz entweder nicht festzusetzen oder zu erlassen.