Sitzen Sie bequem, während Sie diese Zeilen lesen? Vielleicht auf einem Schreibtischstuhl oder auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer? Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit profitieren Sie dabei von einem Produkt der Firma Häfele. Die Bestandteile, die der Weltmarktführer aus dem Nordschwarzwald fertigt, stecken in Millionen, vielleicht sogar Milliarden Möbelstücken weltweit. Die Produktion und der Vertrieb von Möbelbeschlägen, Baubeschlägen und elektronischen Schließsystemen ist das Kerngeschäft der Häfele Gruppe mit etwa 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von insgesamt 1,7 Milliarden Euro.
Zur Person
Seit dem 1. Januar 2023 ist Sibylle Thierer deutsche Vizepräsidentin sowie Vorstands- und Präsidiumsmitglied bei Eurochambres, dem europäischen Dachverband der Industrie- und Handelskammern. Die Unternehmerin aus Nagold in Baden-Württemberg ist Vorsitzende des Verwaltungsrates der Häfele Gruppe und war bis 2022 langjährige Geschäftsführerin des weltweit tätigen Familienunternehmen, das 2023 sein 100-jähriges Bestehen feiert. Seit 2007 engagiert sie sich zudem in der Vollversammlung der IHK Nordschwarzwald und ist seit 2017 Vizepräsidentin.
Familienunternehmerin, IHK-Vizepräsidentin ...
Sibylle Thierer führt das Familienunternehmen in dritter Generation. Seit 20 Jahren lenkt die gelernte Schreinerin und studierte Diplom-Exportwirtin von Nagold aus die Geschäfte des innovativen Spezialisten. Anfang 2023 gibt sie die Geschäftsführung ab. Sie hat viel geschafft – und noch viel vor. Denn ab sofort wird die Vizepräsidentin der IHK Nordschwarzwald die deutschen Unternehmen in Brüssel vertreten: als ehrenamtliches Mitglied des Eurochambres-Präsidiums.
Der Dachverband der europäischen Industrie- und Handelskammern repräsentiert mehr als 20 Millionen Betriebe in mehr als 40 Ländern. Er fungiert als Fürsprecher der Unternehmensinteressen auf europäischer Ebene und koordiniert die gemeinsame Interessenvertretung der nationalen Kammerorganisationen.
3 Fragen an Sybille Thierer
Frau Thierer, als deutsche Vizepräsidentin von Eurochambres werden Sie auch die Gelegenheit zu direkten Gesprächen mit Vertretern der EU-Kommission und des EU-Parlaments haben. Welche Botschaften möchten Sie hier platzieren?
Als Unternehmerin möchte ich vor allem die Unternehmensperspektive einbringen und für mehr Verständnis für die Unternehmensrealität werben. Denn viele Unternehmer kämpfen mit unterbrochenen Lieferketten und den hohen Energiepreisen zusätzlich zu bekannten Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel oder bürokratischen Auflagen.
Die Politik muss die Rahmenbedingungen fürs Wirtschaften verbessern, gerade in der Krise und gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Das heißt konkret: Neue Gesetzesvorhaben müssen auf ihre KMU-Tauglichkeit geprüft und bei zu großer Belastung angepasst oder notfalls auch verschoben werden.
Meine Devise war immer "Stillstand ist Rückschritt". Wir können uns keinen Stillstand leisten, sondern brauchen Impulse, die die Wettbewerbsfähigkeit in Europa fördern. Dazu gehören gemeinsame Maßnahmen zum Umgang mit den hohen Energiepreisen, eine Förderung der betrieblichen Ausbildung, eine proaktive EU-Handelspolitik und dass wir die Chancen des EU-Binnenmarktes voll ausschöpfen.
Warum ist Eurochambres für die IHK-Organisation so wichtig?
Wir brauchen beides: eine starke Präsenz der IHK-Organisation in Brüssel, die das Gesamtinteresse der deutschen gewerblichen Wirtschaft vor Ort vertritt, und einen europäischen Dachverband, der mit einer Stimme für die Unternehmen in ganz Europa spricht.
Analog zur Frage von Henry Kissinger, wen er anrufen soll, wenn er mit Europa sprechen möchte, brauchen die EU-Institutionen auch einen Ansprechpartner, wenn sie mit der europäischen Wirtschaft sprechen wollen. Dass man für eine gemeinsame Position Kompromisse schließen muss und eine Spur Geduld braucht, ist klar.
Was bedeutet Europa für Sie als Unternehmerin?
In der täglichen Unternehmenspraxis habe ich immer wieder erlebt, dass sich die Teams an unseren verschiedenen Standorten in ihrer Herangehensweise an neue Projekte, Umsetzung und Durchführung unterscheiden. Aber alle setzen sich für dasselbe Ziel eines erfolgreichen Unternehmens ein. Genau das ist Europa, und wir haben bereits viel erreicht, wenn man sich den Binnenmarkt und die Ausgestaltung des europäischen Wirtschaftsraums anschaut.
Dies nutzen wir in unserem Unternehmen täglich, und selbstverständlich freue ich mich daher darauf, mit Eurochambres daran zu arbeiten, weiterhin gute Rahmenbedingungen für erfolgreiches Wirtschaften zu schaffen. Europa bietet hier für uns Unternehmer ein Meer von Möglichkeiten!
... und begeisterte Europäerin
Auch aufgrund ihrer langjährigen unternehmerischen Tätigkeit in Deutschland, Europa und der Welt ist Sibylle Thierer begeisterte Europäerin: "Europa ist mir ein Herzensanliegen. Wir haben schon viel erreicht, blicken wir etwa auf den Binnenmarkt oder auf die Ausgestaltung des europäischen Wirtschaftsraumes. Diese Errungenschaften nutzen wir in unserem Unternehmen täglich. Ich möchte dabei mitarbeiten, dass auch weiterhin erfolgreiches Wirtschaften über Landesgrenzen hinweg möglich ist."
Auch in Berlin ist die Vorfreude groß. Die deutsche Vizepräsidentschaft liege mit dieser Berufung in guten Händen. Martin Wansleben, DIHK-Hauptgeschäftsführer: "Wir sind froh, dass wir mit Sibylle Thierer eine sehr engagierte Persönlichkeit gewinnen konnten, die für das steht, was die Hidden Champions der deutschen Wirtschaft ausmacht: regional tief verwurzelt und zugleich als internationales Familienunternehmen sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch in die Welt stark vernetzt. Wer einen solchen Betrieb führt, weiß, worauf es wirklich ankommt."
Politik muss die Rahmenbedingungen fürs Wirtschaften verbessern
Was sie sich für ihre neue Aufgabe in Brüssel vorgenommen hat? "Viele Unternehmen kämpfen mit unterbrochenen Lieferketten und hohen Energiepreisen. Auch durch den Fachkräftemangel und den nach wie vor viel zu hohen bürokratischen Auflagen geraten die Betriebe zusehends unter Druck. Die Politik muss die Rahmenbedingungen fürs Wirtschaften verbessern, gerade in der Krise und gerade für kleine und mittlere Unternehmen." Was Sibylle Thierer dabei helfen wird, ist, dass sie viele Probleme aus dem unternehmerischen Alltag aus eigenem Erleben kennt.
Unterschiedliche Positionen wahrnehmen, bei Konflikten den Überblick behalten, am Ende aber entschlossen für die eigenen Interessen eintreten: Vieles von dem, was für die Führung eines großen Unternehmens gebraucht wird, kann auch an den Verhandlungstischen der Brüsseler Institutionen nicht schaden. Denn das ist nun der Job von Sibylle Thierer, der neuen Vizepräsidentin von Eurochambres: der deutschen Wirtschaft in Europa eine starke Stimme geben.
Veröffentlicht 01.01.2023
Aktualisiert 16.12.2025