"Much more than a market", also weit mehr als ein Markt, ist dem aktuellen "Letta-Bericht" zufolge der europäische Binnenmarkt. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt davor, das Thema mit politischen Anliegen zu überfrachten, und fordert stattdessen Fortschritte beim Abbau der noch immer häufigen praktischen Hindernisse und bürokratischen Überforderungen.
Funktionsfähigkeit des EU-Binnenmarktes nicht politischen Idealen opfern
DIHK: Gute Ziele rechtfertigen keine schlechte RegulierungDer Bericht zur Zukunft des EU-Binnenmarktes, den der ehemalige italienische Regierungschef Enrico Letta am 17. April vorgestellt hat, sieht den gemeinsamen Markt "untrennbar mit den strategischen Zielen der EU verbunden" und bewertet ihn als "von Natur aus politisch".
Vor dem Hintergrund der jüngsten DIHK-Umfrage zu Binnenmarkthindernissen kommt DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke zu einer nüchterneren Bewertung des gemeinsamen Marktes. Der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sei "das Herzstück der europäischen Integration", stellt er klar. Der Binnenmarkt dürfe nicht durch unnötige Bürokratie weiter überfrachtet werden.Denn: "In weiten Teilen machen wir keine Fortschritte mehr, sondern Rückschritte", kritisiert Wernicke. Die drohende Verwahrlosung des Binnenmarktes und die Handlungsnotwendigkeiten habe der Letta Bericht offengelegt.
Marktwirtschaftlichen Kern bewahren
"Schon der Titel des Berichts verdeutlicht aber seinen Denkfehler: 'Mehr als ein Markt' ist ein europäisches Ideal. Auf diesem Altar darf aber nicht die Funktionsfähigkeit des Marktes geopfert werden. Diese bedenkliche Entwicklung setzt sich aber fort, wenn wie im Letta-Bericht der marktwirtschaftliche Kern als überlebt und aus dem letzten Jahrhundert stammend dargestellt wird", warnt Wernicke. "Wenn dem Markt stattdessen immer mehr politische oder gar geopolitische Ziele auferlegt werden sollen, bleibt von ihm und seiner positiven wirtschaftlichen Wirkung nicht mehr viel übrig."
Es gelte, zuerst die garantierten Freiheiten des Marktes zu sichern, auch in der digitalen Ökonomie. "Gute Ziele rechtfertigen keine schlechte Regulierung", stellt der DIHK-Chefjustiziar klar. Die aktuelle DIHK-Binnenmarktumfrage zeige, dass ganz konkrete Probleme des wirtschaftlichen Alltags im Vordergrund stünden. Als zentralen Punkt nennt er die Arbeitnehmerentsendung. Zu einer ungeeigneten Regulierung gesellten sich hier zusätzliche nationale Hürden: "Durch unterschiedliche und unnötig komplexe nationale Umsetzung von EU-Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten entstehen für Unternehmen hohe Kosten und rechtliche Unsicherheiten."
Dokumentationen statt Unterstützung
Die Flut von Regelungen sei "mittlerweile exorbitant", so Wernicke. "Statt die Unternehmen in ihrer Praxis zu unterstützen und Freiräume für Ideen, Innovationen und Entwicklung zu lassen, müssen sie Hunderte Dokumentationen und Berichte ausfüllen."
Die nun anstehende Diskussion solle sich daher weniger mit den im Letta-Bericht erwähnten langfristigen oder überaus teuren Idealen befassen – etwa einem einheitlichen europäischen Gesellschaftsrecht oder neuen Finanzierungsinstrumenten –, mahnt Wernicke, sondern den vor Ort drängenden Themen: "Rechtssicherheit auch im Europarecht, einheitliche Durchsetzung des Rechts in der ganzen EU, KMU-Freundlichkeit der Gesetze und Entbürokratisierung, kurz: Verlässlichkeit im Alltag statt neuer Ideale."
Die Binnenmarktumfrage der DIHK finden Sie hier zum Download: