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EU-Taxonomie: Neue Messlatten für den Klimaschutz

Bewertungskriterien kommen ab 2023 vollständig zur Anwendung
Tisch mit vielen grünen Charts und einer Hand, die Pfeile zu einer Aufwärtskurve legt

Geht es künftig nur noch für "grüne" Investments aufwärts?

© cyano66 / iStock / Getty Images Plus

Die Europäische Kommission hat sich am 21. April 2021 politisch auf die Bewertungskriterien für die Klimaschutzziele der EU-Taxonomie geeinigt. DIHK-Experte Julian Schorpp beschreibt die weitreichenden Auswirkungen, die dies auf die Unternehmen hat.

Für zahlreiche Wirtschaftstätigkeiten legt die nun von der Kommission erlassene "delegierte Verordnung" (entspricht in etwa der deutschen Rechtsverordnung) in ihren Anhängen – auf aktuell knapp 500 Seiten – meist quantitative Kriterien fest, anhand derer zukünftig die Nachhaltigkeit im Sinne des Klimaschutzes bewertet werden soll. Die formelle Annahme des Rechtsakts wird für Ende Mai erwartet.  

Regeln für Gasverstromung und Kernenergie sollen noch 2021 folgen

Aufgrund der Kritik zahlreicher Mitgliedstaaten, Europaabgeordneten und Interessenträger hat die Kommission entschieden, zunächst auf eine Festlegung von Kriterien für die Verstromung von Erdgas zu verzichten. Stattdessen sollen die Regeln im Laufe des Jahres in einer zusätzlichen delegierten Verordnung fixiert werden.

Diese wird dann voraussichtlich auch Kriterien für die Kernenergie enthalten – hierfür erwartet die Kommission bis zum Sommer die Einschätzungen zweier Expertengremien, auf deren Grundlage dann eine Entscheidung gefällt werden soll. 

Die bislang bekannt gewordenen Entwürfe der Kriterien schließen erdgasbefeuerte Kraftwerke von der Einstufung als "nachhaltig" aus, das gilt auch für hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.

In der delegierten Verordnung vom 21. April kündigt die Kommission neben der späteren Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien für Gaskraftwerke außerdem an, eine spezifische Gesetzgebung zu erwägen, die Investitionen in Gaskraftwerke fördern soll, wenn diese in einer Übergangszeit auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität notwendig sind. Die Ankündigung kann zugleich als Hinweis gewertet werden, dass die Kommission im Rahmen der Taxonomie auf strengen Grenzwerten beharrt. 

Wenig Bewegung in den Kriterien für Kraftfahrzeuge

Im Vergleich zu vorherigen Entwürfen blieben die Kriterien für die Automobilwirtschaft weitgehend unverändert. Die Herstellung und Nutzung von Verbrennungsmotoren für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge gilt ab dem Jahr 2026 als nicht nachhaltig. Beim Emissionsgrenzwert für die Herstellung von Wasserstoff (3tCO2äq/tH2) gab es ebenfalls keine Bewegung mehr.

Für die meisten energieintensiven Industriebranchen wird auf die novellierten Benchmarks aus dem EU-Emissionshandel (EU ETS) abgestellt. Oft werden noch zusätzliche Bedingungen gestellt, etwa Vorgaben für die Stromintensität der Produktion oder für die Emissionsintensität des eingesetzten Stroms festgelegt.

Für Finanzwirtschaft und Realwirtschaft relevant

Angewandt werden wird die Taxonomie inklusive ihrer Kriterien einerseits von der Finanzwirtschaft, die "grüne" Finanzprodukte anbietet. Für die Klimaschutz-Bewertungskriterien greift diese Regelung ab dem Jahr 2023.

Zeitgleich werden Unternehmen der Realwirtschaft verpflichtet, offenzulegen, inwiefern sie die Taxonomie-Kriterien einhalten. Die konkreten Details dieser neuen Offenlegungspflicht werden in einem weiteren delegierten Rechtsakt festgelegt, der noch bis zum Sommer von der Kommission verabschiedet werden soll. Finanzinstitute werden den Anteil der Finanzierungen offenlegen müssen, die in Wirtschaftstätigkeiten fließen, die den Taxonomie-Kriterien entsprechen ("green asset ratio").

Um als nachhaltig im Sinne der Taxonomie zu gelten, muss über die Einhaltung detaillierter Kriterien nachgewiesen werden, dass durch eine wirtschaftliche Tätigkeit ein substanzieller Beitrag zur Erreichung von einem der sechs Umweltziele der Taxonomie geleistet wird. Darüber hinaus muss belegt werden, dass zugleich keinem der anderen Umweltziele erheblich entgegenwirkt wird ("do no significant harm"-Prinzip) und Mindest-Sozialstandards eingehalten werden.

Weitere Kriterien in Arbeit

Aktuell arbeitet eine von der Kommission bestellte Expertengruppe, die Sustainable Finance Platform, an Vorschlägen für Bewertungskriterien zu den verbleibenden vier Umweltzielen. Konkret geht es um den Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, den Übergang zur Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung sowie den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität. Deren Anwendung durch die Finanzwirtschaft ist laut Taxonomie-Verordnung im Jahr 2025 vorgesehen. Die Offenlegungspflicht für Unternehmen greift bereits ab dem Jahr 2024.

Ob ein Unternehmen die eigene "Taxonomie-Compliance" offenlegen muss, hängt unter anderem davon ab, ob es unter den Anwendungsbereich der CSR-Richtlinie fällt. Am 21. April hat die Kommission eine Reform der letzteren Richtlinie vorgeschlagen und darin die Ausweitung des Anwendungsbereichs verankert. Nach Angaben der Kommission steigt die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen in der EU damit von 11.000 auf 50.000.

Unabhängig von dieser rechtlich vorgesehenen Taxonomie-Offenlegungspflicht wird erwartet, dass in der Praxis viele weitere Unternehmen Auskunft darüber werden geben müssen, ob sie die Kriterien einhalten. Einerseits werden größere, berichtspflichtige Unternehmen dies von ihren Lieferanten verlangen. Andererseits werden Banken, die selbst unter die rechtlich bindende Offenlegungspflicht fallen, bei der Vergabe von Finanzierungen ihre Kunden zur Offenlegung anhalten, um bewerten zu können, ob es sich um eine nachhaltige Finanzierung handelt.

Folgen auch für den Finanzierungszugang

Die Auswirkungen der Taxonomie der EU auf Unternehmen sind vielfältig. Erklärtes Ziel der EU ist die Vermeidung von "Greenwashing" bei nachhaltigen Finanzprodukten. Für viele Unternehmen der Realwirtschaft entsteht bürokratischer Aufwand für die Berechnung und Offenlegung der eigenen "Taxonomie-Compliance".

Zudem werden Finanzierungskonditionen und der Zugang zu frischem Kapital beeinflusst. Für Unternehmen, die die Kriterien nicht erfüllen, könnten sich die Bedingungen verschlechtern beziehungsweise der Zugang zu Finanzierungen ganz blockiert werden. Betriebe, die die Kriterien erfüllen, könnten eventuell vom gegenteiligen Effekt profitieren.

Abzusehen ist bereits, dass europäische und nationale Förderprogramme an den Kriterien der Taxonomie ausgerichtet werden. Auch in zukünftigen Gesetzgebungen sind Verweise auf die Taxonomie zu erwarten. 

Sie finden die delegierte Verordnung inklusive ihrer Anhänge auf der Website der Europäischen Kommission.

© DIHK

Kontakt

Porträtfoto Josephine Möslein
Josephine Möslein Referatsleiterin Europäische Energie- und Klimapolitik