Klimaschutz, Menschenrechte, Nachhaltigkeit: Getreu dem Motto "Handel durch Wandel" versuchen die deutsche und auch die europäische Politik, internationale Marktprozesse über gesetzliche Regelungen an eigene Wertvorstellungen zu koppeln. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zeigt auf, warum dies in der Realität oftmals eher auf einen "Wandel statt Handel" hinausläuft.
Wandel statt Handel?
Was die "Politisierung der Ökonomie" in der Praxis bedeutetIn den letzten Jahrzehnten beklagten viele eine angebliche Ökonomisierung der Politik, womit gemeint war, dass sich die Politik dem Primat ökonomischer Sachzwänge untergeordnet haben soll. Ob und in welchem Umfang das je gestimmt hat, sei dahingestellt. Tatsache ist: In vielen Ländern hatten die Regierungen ein offenes Ohr für die Belange der Wirtschaft, was sich, wie wir wissen, in den allermeisten Fällen positiv auf den Lebensstandard ihrer Bürger ausgewirkt hat.
Lassen sich Werte exportieren?
Auf jeden Fall aber beobachten wir im Moment eine gegenläufige Entwicklung. Statt der Ökonomisierung der Politik haben wir es mit einer Politisierung der Ökonomie zu tun. Diese manifestiert sich zuallererst im Außenhandel – und zwar nicht nur in Gestalt von Sanktionen und Gegensanktionen, mit denen sich die Staaten gegenseitig für echte beziehungsweise behauptete Verstöße gegen das Völkerrecht zu bestrafen suchen. Sehr starke Auswirkungen in dieser Hinsicht haben auch mit anderer Motivation eingeführte Regelungen wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das am 1. Januar in Kraft getreten ist.
Während es allenthalben heißt, dass die Idee "Wandel durch Handel" fehlgeschlagen sei, stellen wir zugleich fest, dass das neue Gesetz genau auf einem sehr starren Verständnis dieses Prinzips beruht. Wer aus dem Ausland heraus Waren oder Dienstleistungen – direkt oder indirekt – nach Deutschland verkaufen möchte, muss in seinem Betrieb nachweislich gewisse Mindeststandards in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz einhalten. Darüber hinaus muss er ein wachsames Auge auf die eigenen Lieferketten haben. So zumindest lässt sich das Gesetz aus der Sicht der ausländischen Geschäftspartner der deutschen Wirtschaft zusammenfassen. Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren auch die jüngsten Initiativen der EU zu Zwangsarbeit und zur Entwaldung. Ein europäisches Lieferkettengesetz soll bald folgen.
Nicht alle Umfelder schätzen "Umfeldbeeinflussung"
Selbst der bekannte Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der in Staaten mit einer weniger stringenten Klimaschutzpolitik produzierte Waren verteuern soll, folgt einem ähnlichen Muster. Neben dem Schutz der europäischen Industrie vor preiswerterer Konkurrenz verfolgt man nämlich auch mit dem CBAM das Ziel, möglichst viele Staaten dazu zu bewegen, ihre Politik der europäischen anzugleichen.
Der Versuch, die Politik anderer Staaten auf dem Umweg über die Wirtschaftsbeziehungen im Sinne der europäischen Werte zu beeinflussen, wird bisweilen als "Umfeldbeeinflussung" bezeichnet. Nur lassen sich nicht alle Umfelder widerspruchslos beeinflussen. So wurde genau an dem Tag, an dem der Bundestag das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedete, in Peking das sogenannte Anti-Sanktionen-Gesetz beschlossen, welches chinesische Unternehmen daran hindern soll, sich nach ausländischen Vorgaben wie denen des deutschen LkSG zu richten.
Das deutet darauf hin, dass zumindest die chinesische Regierung der Philosophie der grenzüberschreitenden Umfeldbeeinflussung auf diesem Weg bislang nicht zugänglich ist. Wie die chinesische Bevölkerung dazu steht, erfahren wir nicht, denn sie kann sich nicht frei dazu äußern – was wiederum denjenigen Recht zu geben scheint, die über die europäische Wirtschaft die Zustände in China verändern wollen.
Eine Frage der Marktmacht
Allerdings steht und fällt dieser Versuch mit der Marktmacht der europäischen Unternehmen im Rahmen der Weltwirtschaft. Konkret geht es darum, inwieweit die Zulieferer in aller Welt bereit und in der Lage sind, den Vorgaben ihrer europäischen Kunden zu folgen. Schließlich unterliegen auch sie den Zwängen ihrer jeweiligen Märkte. Nur die wenigsten Zulieferer arbeiten ausschließlich für Deutschland beziehungsweise für Europa.
Streng genommen sind Lieferketten nämlich nur dann simple Ketten, wenn man sie aus der Perspektive des Kunden rückwärts bis hin zu den Rohstoffen betrachtet. In der Realität handelt es sich um komplexe netzartige Verkettungen. Denn jedes Kettenglied ist zugleich Teil unzähliger anderer Verkettungen. Dieser Umstand ist es auch, der das Vorhaben der Umfeldbeeinflussung über den Handel so anspruchsvoll erscheinen lässt.
Lackmustest Konfliktmineralien …
Einen ersten Hinweis darauf, wie groß das Einflussvermögen der Europäer tatsächlich ist, sollten wir demnächst bekommen. Im Laufe des Jahres 2023 erwarten wir nämlich die erste Evaluierung der Auswirkungen der sogenannten Konfliktmineralien-Verordnung. Diese regelt die Sorgfaltspflichten der Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold. Sie wurde am 1. Januar 2021 scharfgestellt und gilt als erstes prominentes Beispiel für eine solche "umfeldbeeinflussende" Gesetzgebung der EU.
Nun hat sich der Run auf die meisten fossilen Rohstoffe spätestens seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine noch einmal verstärkt. Damit stellt sich die kritische Frage: Was kann eine solche Verordnung bewirken, solange Kunden aus aller Welt auf verzweifelter Rohstoff-Suche selbst bei den Bergwerksunternehmen Schlange stehen, die sich nicht an die international gültigen Regeln halten.
… und künftig "Sustainable Finance"
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass der vermutlich weitreichendste Eingriff dieser Art in das Marktgeschehen erst noch bevorsteht. Gemeint ist eine zu erwartende stetige Ausweitung der Gesetzgebung zum Thema "Sustainable Finance", welche die Unternehmensfinanzierung durch die Banken zunehmend an die Erfüllung vielfältiger Nachhaltigkeitskriterien durch die Unternehmen und ihre Zulieferer in aller Welt binden soll.
Durch die verschiedenen Gesetze zur globalen Umfeldbeeinflussung verlangen der deutsche und der europäische Gesetzgeber der Wirtschaft und damit den von ihr lebenden Menschen einiges ab – nicht nur bei uns, sondern auch bei den Handelspartnern in aller Welt. Es bleibt zu hoffen, dass am Ende dieses Prozesses die Menschenrechte, die Umwelt, das Klima und die Nachhaltigkeit tatsächlich auf der Gewinnerseite stehen.
Dieser Text erschien zuerst als Gastbeitrag in der Zeitschrift "Nachrichten für Außenhandel" von Januar 2023.