Am 9. Juli hat die Kommission nun ihre EU-Strategie für Vorratshaltung vorgestellt. Ziel der Strategie ist es, zu jedem Zeitpunkt einen Zugang zu sogenannten essenziellen Gütern zu sichern. Dafür möchte die Kommission die Interoperabilität der bisherigen Vorratshaltungsstrategien auf nationalstaatlicher und europäischer Ebene verbessern. Es soll sich dabei um einen proaktiven und sektorübergreifenden Ansatz handeln, der alle relevanten Stakeholder miteinbindet. Ein besonderer Fokus nimmt dabei die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren ein.
Die Kommission hat im Rahmen der Strategie insbesondere die europäische Fragmentierung als Hindernis bei der Krisenvorsorge erkannt und dies anhand von vier Aspekten dargestellt:
- Bisher gibt es kein gemeinsames Verständnis dafür, welche Güter in einer Krise als essenziell gelten. Das verhindere sektoren- und grenzübergreifende Kooperationen.
- Der Austausch und auch die Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten sowie zwischen zivilen und militärischen Bereichen gilt als eingeschränkt. Es gebe bisher keine angemessene Übersicht zu aktuellen Vorratslagerungsaktivitäten in den Mitgliedstaaten.
- Das Potenzial der Kooperation mit dem Privatsektor, insbesondere in den Bereichen Lagerhaltung, Logistik und Kriseneinsatz bleibe hinter seinen Möglichkeiten zurück. Es gelte, Public Private Partnerships (PPPs) zu etablieren, um Know-how, Best Practices und Kapazitäten sektorenübergreifend zu bündeln.
- Internationale Kooperationen können einen wichtigen Beitrag bei der Krisenvorsorge leisten. Das bezieht auch internationale Organisationen und Partnerschaften mit Drittstaaten ein.
Um an diesen Stellschrauben zu drehen, schlägt die Kommission Maßnahmen in sieben Schlüsselbereichen vor.
1. Verbesserte Koordination unter den Mitgliedstaaten und in der EU
Ein erster Schritt dabei sei, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, um den Informationsaustausch zu fördern – auch unter Einbeziehung der NATO. Dabei soll die Koordinierung bei der Vorratslagerung bei verschiedenen Schritten verbessert werden. Neben Nahrungsmitteln und medizinischen Produkten spricht die Kommission davon, bis 2026 ein EU-Zentrum für kritische Rohstoffe aufzusetzen, das den gemeinsamen Einkauf von Rohstoffen, die Koordinierung strategischer Lagerbestände, die Überwachung der Lieferkette und die Förderung von Investitionen unterstützen soll.
2. Vorausschau, Antizipation und strategisches Planen
Die EU plant, ihre Monitoring- und Analyseaktivitäten mit Blick auf die Verfügbarkeit von essenziellen Gütern auszuweiten. Dazu gehören Austausche über Risikoanalysen, Schwachstellen bei essenziellen Gütern und über Versorgungsmöglichkeiten. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, sich selbst Ziele bei dem Anlegen von Vorräten zu setzen und entsprechende Minimumvorräte anzulegen. Dabei sollen die Mitgliedstaaten sich den Herausforderungen der Lagerung mit Blick auf erhöhte Preise und Marktverzerrungen bewusst sein und bei entsprechenden Maßnahmen Marktverzerrungen sowie unerwünschte Auswirkungen auf die Versorgung und Nachfragedynamiken vermeiden.
3. Behebung von EU-Defiziten durch strategische Bevorratung
Am Beispiel der Corona-Pandemie zeigt die Strategie auf, dass die Entwicklung von strategischer Vorratslagerung auf EU-Ebene notwendig sei. Dabei werden explizit der EU-Zivilschutz-Mechanismus (englisch Union Civil Protection Mechanism – kurz UCPM) und rescEU (eine strategische Reserve von Feuerwehrflugzeugen über kritische Medizinprodukte bis hin zu Equipment für biologische, nukleare oder radiologische Notfälle) angesprochen. Die Kommission will die Ausweitung, Vergrößerung und Erneuerung solcher Reserven prüfen, um langfristig Resilienzen durch Bevorratung aufzubauen. Dazu gehört auch eine Analyse von Sektoren, die traditionell in anderen Strategien genannt wurden und eine verstärkte Kooperation zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor.
4. Ausbau einer robusten und interoperablen Verkehrs- und Logistikinfrastruktur
Auch sollen Kooperation und Koordinierung durch Maßnahmen von regulatorischen Rahmenwerken die grenzüberschreitende Mobilität verbessern. Dabei geht es vorrangig um die Vereinfachung von Prozessen und notwendiger Flexibilität bei der Regulierung von Transporten. Zudem solle auch die Infrastruktur für die Vorratslagerung ausgebaut werden. Gleichzeitig gelte es, die Interoperabilität von zivilen und militärischen Transport- und Logistiksystemen zu stärken.
5. Verbesserung zivil-militärischer Kooperation
Im Vordergrund stehen insbesondere medizinische Gegenmaßnahmen, die sowohl im zivilen Kontext als auch im militärischen Rahmen zur Anwendung kommen können. Darüber hinaus schlägt das "European Defence Industry Programme" (EDIP) neue Elemente im Bereich der zivil-militärischen Kooperation bei der materiellen Vorsorge vor – auch unter Einbeziehung der NATO.
6. Stärkung von Public Private Kooperationen
Die Kommission merkt in ihrer Strategie an, dass Unternehmen tagtäglich Güter kaufen, produzieren, lagern und verteilen. Zudem habe der Privatsektor bereits Erfahrung damit, was die Vorsorge angeht. Die Kommission möchte daher eine "Preparedness Task Force" einsetzen und konkret Unternehmensvertretern einbeziehen, um beispielsweise Lieferkettenprobleme frühzeitig vorherzusehen. Dabei sollen auch Best Practices mitgliedstaatenübergreifend ausgetauscht werden. Ziel können ein Mapping zentraler europäischen Unternehmen der materiellen Vorsorge sein, die Förderung von Austauschformaten und die Entwicklung innovativer Vorratslagerung, beispielsweise durch "virtual stockpiles". Auch das Setzen von Anreizen zur Vorratslagerbildung auf Seiten der Unternehmen wird in der Strategie thematisiert.
7. Stärkung der Kooperation im Kontext internationaler Partnerschaften
Die Strategie betont, dass der Zugang zu essenziellen Gütern auch von stabilen globalen Wertschöpfungsketten abhängt. Daher unterstreicht die Kommission die Relevanz der EU-Nachbarstaaten und von Kooperationsrahmen wie dem "New Pact for the Mediterranean" oder der "Strategy for the Black Sea Region", aber auch Maßnahmen im Rahmen von Global Gateway, der neuen "Clean Trade and Investment Partnerships" oder den strategischen Rohstoffpartnerschaften finden Erwähnung.