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"Wir nehmen die Warnungen und Hilferufe aus dem Mittelstand ernst"

Interview mit Gitta Connemann, Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung
Mittelstandsbeauftragte Gitta Connemann in einer Intervewsituation

Gitta Connemann sieht kleine und mittlere Unternehmen hierzulande einem "toxischen Cocktail" ausgesetzt

© Sebastian Werl

Trotz des Regierungswechsels bleibt die wirtschaftliche Lage in Deutschland angespannt. Was die schwarz-rote Koalition dagegen unternehmen will, erläutert die neue Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Gitta Connemann (CDU), im Interview.

Auch 2025 könnte wieder ein Jahr ohne Wachstum werden. Das dritte Rezessionsjahr in Folge wäre ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Zahl der Insolvenzen steigt, Investitionen bleiben aus, viele Unternehmer sind frustriert oder am Limit. Gitta Connemann blickt mit Sorge auf die wirtschaftliche Entwicklung und berichtet im Gespräch mit unserem Autor Michael Gneuss von den Plänen der neuen Regierung:

Frau Connemann, Sie sind seit Ende Mai die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung und seit 2021 im Übrigen auch Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Woher kommt ihre Motivation, sich für kleinere und mittlere Unternehmen einzusetzen?

Gitta Connemann: Schon unser Elternhaus hat mich mittelständisch geprägt. Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden. Und auch Höfe sind Betriebe. Ich habe von klein auf an erlebt, welche Verantwortung, welche Probleme, aber auch, welche Freiheiten mit dem Unternehmertum verbunden sind. Meine Brüder und ich haben früh die betriebliche Wirklichkeit anhand von Mitarbeit und harter Zahlen kennengelernt. 

Später habe ich in einem inhabergeführten Schuhgeschäft eine Ausbildung zur Verkäuferin gemacht, nach Jurastudium und Referendariat in einer mittelständischen Kanzlei gearbeitet und mich dann als Rechtsanwältin selbstständig gemacht. Der Mittelstand zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.

Was haben Sie aus diesen Erfahrungen mitgenommen?

Vor allem, was es heißt, persönlich zu haften. Das Gros der Mittelständler sind Einzelunternehmer oder Personengesellschaften. Anders als Kapitalgesellschaften haften sie uneingeschränkt mit ihrem Privatvermögen. Eine falsche Entscheidung kann die Altersvorsorge kosten. Aber Mittelständler sind Unternehmer und lassen sich davon nicht schrecken. Mittelstand ist eben auch eine Haltung, nämlich die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ich erlebe das in meiner ländlich geprägten Heimat, in der kleine und mittlere Betriebe das Rückgrat der Wirtschaft sind. Wir stehen und fallen mit dem Mittelstand – so wie viele andere Regionen in Deutschland auch.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage des Mittelstands?

Ich sehe mit großer Sorge auf unseren Mittelstand. Wir befinden uns in einer historischen Wirtschaftssituation. Unsere Unternehmen müssen einen toxischen Cocktail verdauen, der sich aus den Spätfolgen der Pandemie, den Energiepreisverteuerungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und diversen Standortnachteilen mixt. Die Zahl der Insolvenzen steigt, die Zahl der Betriebsaufgaben auch. Die Investitionen sinken. Besonders kleine und mittlere Betriebe sind von Liquiditätsengpässen betroffen. Und spüren die Belastungen wie überbordende Bürokratie, fehlende Fachkräfte und steigende Kosten am stärksten.

Was hat die neue Bundesregierung in ihren ersten Monaten unternommen, um die Lage des Mittelstands zu verbessern?

An erster Stelle: Wir sprechen wieder mit dem Mittelstand. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, war es aber leider nicht mehr. Jetzt sitzt die Praxis wieder mit am Tisch. Uns ist zudem wieder bewusst, wie viele Betriebe in Deutschland kleine und mittlere sind – nämlich 99 Prozent. Und wir nehmen die Warnungen und Hilferufe aus dem Mittelstand ernst. Viele haben keine Luft mehr. Viele sitzen auf gepackten Koffern. Viele sind erschöpft oder frustriert. Aber sie geben uns eine Chance, die wir jetzt auch noch nutzen müssen.   

Aber welche Maßnahmen haben sie konkret beschlossen, die dem Mittelstand weiterhelfen?

Wir haben als Bundesregierung bereits 60 Vorhaben auf den Weg gebracht. Etliche davon kommen dem Mittelstand unmittelbar zugute. Und setzen wichtige Wachstumsimpulse. Ich persönlich halte den Investitionsbooster für extrem wichtig, der seit dem 19. Juli in Kraft ist. Dadurch können Betriebe ihre Investitionen ab sofort schneller und einfacher steuerlich geltend machen. Das setzt Liquidität frei, und Investitionsentscheidungen können kurzfristig angestoßen werden. Auch vom Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität wird der Mittelstand profitieren.

Aber die Stromsteuer-Entlastung kommt dem Mittelstand nicht so zugute, wie viele es erhofft haben.

Von der Stromsteuer-Entlastung profitieren auch mittelständische produzierende Unternehmen. Schon ab einem Stromverbrauch, der dem von vier Familien entspricht, greift die Entlastung. Ich habe Verständnis für die Enttäuschung, dass die Entlastung nicht für alle kommt. Es ist offenbar der Eindruck entstanden, dass die Stromsteuerentlastung für alle sofort kommen wird. Aber schon im Koalitionsvertrag stand das immer unter einem Haushaltsvorbehalt. Hinzu kam eine unglückliche Kommunikation. 

Es wäre besser gewesen, deutlich zu machen, dass bei den Energiekosten schon bis zu 75 Prozent der im Koalitionsvertrag vereinbarten Entlastungen geschafft haben – und dies bereits wenige Wochen nach Regierungsantritt. Wir haben die Gasspeicherumlage abgeschafft, die Netzentgelte abgesenkt. Davon profitieren Unternehmen vom Mittelständler bis zum Konzern. Die Stromsteuer-Entlastungen wollen wir weiter umsetzen, dazu brauchen wir Haushaltsspielräume. Die können wir vor allem durch Wachstum, also mehr Wettbewerbsfähigkeit erreichen. 

Der Standort Deutschland wird aber nicht nur aufgrund hoher Energiekosten immer unattraktiver. Probleme im Bildungssektor, Fachkräftemangel, eine ungenügende digitale Infrastruktur oder die überbordende Bürokratie machen auch vielen Mittelständlern zu schaffen.

Ja, diese hausgemachten Probleme müssen wir lösen. Gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel wollen wir mit der Aktivrente möglichst viele Babyboomer im Arbeitsmarkt halten. Wir wollen die Frauenerwerbsquote steigern. Ich glaube, wir können auch noch deutlich mehr Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder Schulabbrecher in den Arbeitsmarkt integrieren. Wir werden ausländischen Mitarbeitern den Einstieg mit einer zentralen und digitalen "Work-and-Stay-Agentur" erleichtern. 

Und wir wollen die Attraktivität von Ausbildung durch gezieltere Angebote zur Berufsorientierung erhöhen. Die Digitalisierung wird nun im neuen Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung gebündelt. Durch konsequente Digitalisierung können wir auch das Gros der Berichtspflichten angehen. Und mit dem Once-Only-Prinzip sicherstellen, dass Betriebe ihre Daten nur noch einmal melden müssen. Wir brauchen einen echten Bürokratierückbau. Daran werden wir gemessen.

Dennoch erscheint vielen Menschen eine Unternehmertätigkeit immer weniger attraktiv, mit der Folge, dass Nachfolge-Lösungen immer schwieriger werden. Sehen Sie es als Aufgabe der Politik an, das Unternehmertum wieder attraktiver zu machen?

Ja. Übernehmen ist das neue Gründen. Aber Unternehmensnachfolgen sind komplex. Neben der Suche nach der geeigneten Nachfolge gibt es steuerliche und rechtliche Fallstricke. Das muss leichter werden. Und da ist auch der Gesetzgeber gefordert. Dafür ist es unabdingbar, den Betrieben wieder zu vertrauen. 

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Mann steht vor Gemälde und hat die Arme verschränkt.
Thilo Kunze Referatsleiter Infocenter, Chefredakteur POSITION