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Keine Steuerschuld aus unrichtigem Steuerausweis gegenüber Endverbrauchern

Europäischer Gerichtshof stärkt Rechte der Unternehmen
Endverbraucher

© MarianVejcik / iStock / Getty Images Plus

Der Europäische Gerichtshof entschied bereits im Jahr 2022, dass ein Unternehmer, der in einer Rechnung einen zu hohen Mehrwertsteuerbetrag ausweist, diesen nicht schuldet, wenn die Leistung an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Im Anschluss daran stellten sich weitere Fragen –etwa die, wer als „Endverbraucher“ anzusehen ist. In einer aktuellen Entscheidung teilt der EuGH unter anderem zu diesem Punkt seine Auffassung mit.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 1. August 2025 (C-794/23 – P-GmbH II) seine bisherige Rechtsprechung zur Umsatzsteuer bei fehlerhaftem Steuerausweis weiter konkretisiert. Im Fokus steht erneut die österreichische P-GmbH, Betreiberin eines Indoor-Spielplatzes, die in Kleinbetragsrechnungen versehentlich einen zu hohen Steuersatz ausgewiesen hatte.

Ausgangsfall

Die österreichische P-GmbH betreibt einen Indoor-Spielplatz und stellte über Jahre hinweg Kleinbetragsrechnungen mit einem zu hohen Umsatzsteuersatz aus. Die Kassenbons wurden an namentlich nicht bekannte Kunden gegeben. Im ersten Verfahren (Urteil vom 8. Dezember 2022 – C-378/21, „P-GmbH I“) hatte der EuGH entschieden, dass ein überhöhter Steuerausweis gegenüber Endverbrauchern keine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL beziehungsweise § 14c UStG auslöst. Denn Endverbraucher sind nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, sodass keine Gefährdung des Steueraufkommens besteht.

Offene Fragen

Die Reichweite dieser Entscheidung blieb jedoch unklar. Sollte auch dann die Gefährdungshaftung entfallen, wenn sich nicht exakt ermitteln lässt, ob die Rechnung an einen Unternehmer oder einen Endverbraucher gegeben wurde? Sollte dann eine Schätzung möglich sein? Oder führt die Möglichkeit, dass auch Unternehmer die Leistung in Anspruch nehmen können, dazu, dass dann stets und für alle Rechnungen die Gefahr des Vorsteuerabzugs und damit eine Gefährdung des Steueraufkommens besteht („Infektionswirkung“)?

Das österreichische Bundesfinanzgericht (BFG) nahm in seiner Folgeentscheidung an, dass ein kleiner Teil der Rechnungsempfänger – geschätzt 0,5 Prozent – Unternehmer sei. Für diese Fälle wurde eine Steuerschuld angenommen. Das Finanzamt legte daraufhin Revision ein, und der Verwaltungsgerichtshof Österreich (VwGH) rief den EuGH erneut an.

Kernaussagen des EuGH

Der EuGH bekräftigt im aktuellen Urteil seine Aussagen aus dem Jahr 2022: Wenn Leistungen ausschließlich an Endverbraucher erbracht werden, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, besteht keine Verpflichtung zur Zahlung der zu hoch ausgewiesenen Steuer – selbst, wenn der Steuersatz in der Rechnung falsch war.

Begriff „Endverbraucher“ eng auszulegen

Nach Auffassung des EuGH soll als „Endverbraucher“ ausschließlich ein Nichtunternehmer anzusehen sein. Nur bei Leistungen gegenüber Privatpersonen ist die Gefährdungshaftung für einen fehlerhaften Steuerausweis ausgeschlossen. Es reicht nicht aus, wenn es sich um einen Unternehmer handelt, der die Leistung für nicht-unternehmerische Zwecke bezieht oder aus dem Leistungsbezug nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Keine Infektionswirkung

Allein die Tatsache, dass der Unternehmer die selben Leistungen an private Endkunden und an Unternehmen erbringt, führt bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nicht zur Steuerschuld nach § 14c UStG. Es besteht keine „Infektionswirkung“. 

Schätzung zulässig

In Fällen mit vielen Kleinbetragsrechnungen ist eine individuelle Prüfung der Rechnungsempfänger praktisch kaum möglich. Der EuGH erkennt daher die Möglichkeit einer Schätzung an – allerdings knüpft er diese an bestimmte Anforderungen:

Die Schätzung muss auf objektiven, aktuellen und nachvollziehbaren Daten beruhen. Sie muss sich an konkreten Anhaltspunkten orientieren, wie etwa die Art der erbrachten Leistung, Modalitäten ihrer Erbringung und der Rechnungslegung, Auswertung des eigenen Kundenkreises und aller statistischen Informationen zu den Empfängern der Leistung. Zudem darf die Schätzung nur eine widerlegbare Vermutung begründen. Der Unternehmer muss die Möglichkeit haben, die Schätzung tatsächlich und rechtlich zu bestreiten. Dabei darf das Beweismaß nicht übermäßig hoch angesetzt werden. Insgesamt muss die Schätzung transparent, verhältnismäßig und überprüfbar sein.

Folgen für die deutsche Praxis

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hatte nach dem ersten EuGH-Urteil (P-GmbH I) mit Schreiben vom 27. Februar 2024 reagiert und die Anwendung des § 14c UStG bei Rechnungen an Endverbraucher eingeschränkt. Unter den Begriff des Endverbrauchers fasste es auch privat handelnde Unternehmer. Gleichzeitig schloss es eine Schätzung in Mischfällen ausdrücklich aus. Diese Sichtweise dürfte nach dem neuen EuGH-Urteil nicht mehr zu halten sein. 

Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wird sich voraussichtlich ändern müssen. Bislang geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine abstrakte Gefährdung des Steueraufkommens ausreichend ist und hat bislang eine Steuerschuld nach § 14 c UStG auch aus Rechnungen an private Endverbraucher bejaht. 

Kontakt

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RA Brigitte Neugebauer Referatsleiterin Umsatzsteuer, Verfassungsrecht | Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)