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Unternehmensnachfolge im Mittelstand – große Herausforderung für die Wirtschaftspolitik

Unternehmensnachfolge stellt Wirtschaft vor Ort auf die Probe
ev Unternehmensnachfolge

© Westend61 / Westend61 / Getty Images

Seit Jahren macht es die Demografie mittelständischen Unternehmen immer schwerer, geeignete Nachfolgen zu finden. Jetzt kommen erheblich gestiegene wirtschaftliche Unsicherheiten hinzu, steigende Kosten, hartnäckige Inflation und zunehmender Personalmangel. Besonders betroffen: Handel, Gastronomie und Dienstleistungen. Gewachsene Wirtschaftsstrukturen vor Ort werden auf eine harte Probe gestellt.

Das Zusammenfinden wird schwieriger

Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung schätzt, dass in den kommenden fünf Jahren bei 190.000 Unternehmen mit guter wirtschaftlicher Substanz die Nachfolge ansteht - über ein Viertel mehr als im Zeitraum vorher. Zahlen aus der Gründungs- und Nachfolgeberatung der Industrie- und Handelskammern (IHKs) zeigen, wie eng die Situation ist:

  • Mittlerweile suchen fast dreimal so viele Unternehmen auf Nachfolgesuche ihre IHK auf wie Personen, die an der Übernahme interessiert sind.
  • Die Zahl der Nachfolgeinteressenten hat sich im Jahr 2022 seit dem Vorkrisenjahr 2019 halbiert.
  • Besonders eng ist die Situation im Handel. Hier kommen viereinhalb nachfolgesuchende Händlerinnen und Händler auf eine nachfolgeinteressierte Person. Bei den personenbezogenen Dienstleistern sind es vier, in der Gastronomie sind es drei.

Krisen machen Nachfolge nochmal deutlich schwieriger

Hinzu kommen nach Erfahrungen der IHKs weitere Entwicklungen:

  • Vielerorts sind die Einbußen infolge der Corona-Lockdowns im Handel, in der Gastronomie und vielen Dienstleistungsbereichen, wie Reisewirtschaft und Veranstaltungswirtschaft, noch nicht aufgeholt.
  • Unternehmen finden immer schwerer geeignete Fachkräfte, was eine Fortführung des Betriebes erschwert. Der weiter zunehmende Mangel führt zudem dazu, dass gut qualifizierte Personen lukrative Angebote für abhängige Beschäftigungsverhältnisse erhalten und sich damit gegen den „Beruf Unternehmer/in“ entscheiden. Insbesondere in personalintensiven Branchen, wie Handel und Gastronomie, leidet dann auch die Attraktivität der Betriebe mit Blick auf Unternehmensnachfolgen.
  • Steigende Energie- und Rohstoffpreise und hohe Inflation schaffen ein sehr unsicheres geschäftliches Umfeld. Der Ausblick auf die Zukunft wird schwieriger, was die Suche nach Nachfolgerinnen und Nachfolgern erschwert.

Diese Gemengelage veranlasst den IHKs zufolge viele Inhaberinnen und Inhaber vor allem kleinerer Betriebe, sogar über die Schließung nachzudenken. In kleinen Unternehmen ist es zumeist auch für eine nachfolgende Führungskraft nur schwer möglich, die Bewältigung der Herausforderungen auf mehrere Schultern zu verteilen und gegebenenfalls Spezialisierungsvorteile zu nutzen.

Was Unternehmen tun können - IHK hilft

Verbundenheit mit dem Geschaffenen ist wichtig, um das Team im Unternehmen und auch mögliche Nachfolgeinteressierte zu motivieren und mitzunehmen. Gefragt ist aber zugleich nüchterne Sachlichkeit und Offenheit auch für externen Rat. Dies ist letztlich für den gesamten deutschen Mittelstand mit seinen vielen Hidden Champions von hoher Bedeutung.

Mehr als vier von zehn Unternehmen beschäftigen sich jedoch laut DIHK-Report Unternehmensnachfolge zu spät mit der Materie. Für Rat und Tat stehen die 79 IHKs vor Ort als neutrale Akteure mit ihren insgesamt 200 Geschäftsstellen zur Seite – mit der frühzeitigen Ansprache von Unternehmen, mit Nachfolgetagen und -seminaren, IHK-Nachfolgeberatungen und dem Zusammenbringen („Matching“) mit Nachfolgeinteressierten. Die IHKs haben zudem weitere Formate geschaffen, wie etwa Nachfolger-Clubs oder in Baden-Württemberg die Nachfolgemoderatoren. Jährlich haben die IHKs auf diese Weise bundesweit Kontakt mit 18.000 Unternehmen und Nachfolgeinteressierten.

Über die Unternehmensbörse nexxt-change können Senior-Unternehmerinnen und -Unter-nehmer und Übernahmeinteressenten zudem bundesweit recherchieren und dann etwa via IHK den Kontakt zu möglicherweise passsenden Personen aufnehmen.

Unternehmertum stärken, Nachfolge erleichtern – ganz nach oben auf die Agenda der Wirtschaftspolitik

Wenn Händler, Dienstleister und Gastronomen mangels Nachfolge schließen müssen, fehlen vor Ort häufig Angebote in der Nahversorgung und auch Anlaufpunkte für Begegnungen. Kluge Konzepte sind daher gefragt. Gute Anknüpfungspunkte bietet die Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums „Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis“. Die Bundesregierung sollte die Unternehmensnachfolge noch stärker in den Fokus nehmen.

Unternehmertum sollte so einfach wie möglich sein. Vier von fünf angehenden Unternehmerinnen und Unternehmern fordern von der Politik einfachere und schnellere Verfahren. Sämtliche für die unternehmerische Tätigkeit notwendigen Genehmigungen sollten online und aus einer Hand erledigt werden können. Die Bundesregierung sollte das angekündigte Belastungsmoratorium wirksam umsetzen. Alles gehört auf den Prüfstand – angefangen beim EU-Lieferkettengesetz bis hin zu den umfangreichen Berichtspflichten im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie. Denn all das wirkt sich auch auf die kleinen und mittelgroßen Unternehmen aus. Und: Schon in der Schule sollte ökonomisches Wissen und Unternehmertum stärker verankert werden, sowohl in den Lehrplänen als auch durch Projekte, wie etwa Schülerfirmen.

Nützliche Hinweise:

DIHK-Report Unternehmensnachfolge 2022

DIHK-Report Unternehmensgründung 2022

IHK-Nachfolgemoderatoren - Informationen, zum Beispiel über die IHK Heilbronn-Franken

Unternehmensbörse nexxt-change

Gute Vor-Ort Projekte der Initiative „Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis

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Porträtbild Dr. Marc Evers, Referatsleiter Mittelstand | Existenzgründung | Unternehmensnachfolge
Dr. Marc Evers Referatsleiter Mittelstand, Existenzgründung, Unternehmensnachfolge