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Wo kann beim Bürokratieabbau angesetzt werden?

Ordnerstapel auf einem Schreibtisch

Jede einzelne bürokratieabbauende Maßnahme ist ein Schritt zu mehr unternehmerischem Freiraum

© Reza Estakhrian / The Image Bank / Getty Images

Nahezu 80 Prozent der jungen Unternehmen und Start-ups sehen den Abbau bürokratischer Hemmnisse als wichtigste Aufgabe für die Politik. Ganz oben auf der Agenda stehen klare Informationen sowie schnellere und einfachere Prozesse bei der Gründung selbst. Hauptaugenmerk: Alles sollte online erledigt werden können und das am besten zentral bei einer Stelle.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird bereits eine Reihe von Maßnahmen genannt, die in die richtige Richtung gehen. Insbesondere die Umsetzung des Once-only-Prinzips, die Einrichtung einheitlicher Anlaufstellen für Unternehmensgründungen sowie ein mittelstandsfreundliches E-Government lassen potenzielle Gründerinnen und Gründer sowie speziell auch Start-ups auf Fortschritte hoffen. Nun kommt es darauf an, dass die Punkte rasch und mit spürbar entlastender Wirkung umgesetzt werden – das gilt für Unternehmensgründungen ebenso wie für die vielen mittelständischen Betriebe im Land.

Wichtig ist dabei, dass Hemmnisse und bürokratische Belastungen immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Jede einzelne unnötig komplizierte Maßnahme mag als nicht so bedeutend bewertet werden – in der Gesamtheit der zu bewältigenden Bürokratie werden die Belastungen aber deutlich. Deshalb ist auch jeder Abbau einer unnötigen bürokratischen Belastung gut. Im Ergebnis wird mehr Freiraum für unternehmerisches Handeln und Investieren geschaffen. Unternehmertum wird wieder attraktiver.

Maßnahmen, die neu gegründete und junge Unternehmen entlasten

Formulare unterschiedlicher Anbieter von Förderleistungen sollten bundesweit vereinheitlicht und einfach ausgestaltet werden. Die Antragsverfahren sollten kurz sein, also möglichst in ein- statt mehrstufigen Prozessen abgeschlossen werden können. Außerdem ist eine medienbruchfreie digitale Kommunikation notwendig, über einheitliche digitale Oberflächen. Erfahrungen aus der Corona-Krise in Bezug auf die Antragsverfahren können hier von Nutzen sein. Wichtig ist, dass persönliche Angaben nur einmal an einer Stelle gemacht werden müssen. Auch für die Einbeziehung von prüfenden Dritten können Erfahrungen bei der Beantragung von Corona-Hilfen genutzt werden. Prüfung der Anträge und Rückmeldung sollten in einer angemessenen Frist erfolgen. Leistungen, die in Bescheiden der Förderinstitution angekündigt werden, sollten schnell ausgezahlt beziehungsweise umgesetzt werden. Bei den Förderprogrammen ist es wichtig, insbesondere auch Nebenerwerbsgründungen stärker einzubeziehen, weil angesichts steigender Unsicherheiten des wirtschaftlichen Umfeldes immer mehr Gründungsinteressierte diese Option wählen.

Fast 80 Prozent der jungen Unternehmen erwarten von der Politik die Schaffung rascher, gebündelter und einfacher Prozesse. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) stellt einen wichtigen Meilenstein beim Ausbau der digitalen Verwaltung dar. Es sollte darauf geachtet werden, dass das OZG auch auf die Belange von KMU sowie neu gegründete Unternehmen ausgerichtet wird. Daher sollten Betriebe aller Größenordnungen zum Beispiel über Praxis-Checks bei der Ausgestaltung ebenso wie Start-ups mit einbezogen werden. Von besonderer Bedeutung ist die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Unternehmenskontos und einer einheitlichen Identifikationsnummer für Unternehmen als Voraussetzung für die Umsetzung des Once-only-Prinzips. Verwaltungsvorgänge sollten durchgängig medienbruchfrei abgewickelt werden können.

Die Bewältigung der umsatzsteuerlichen Pflichten für Kleinunternehmer und Gründer ist hoch. Denn in dieser Phase müssen sich die neuen Unternehmerinnen und Unternehmer besonders intensiv um neue Kunden und um die Startfinanzierung kümmern – gerade dann empfinden junge Unternehmen administrative Pflichten als besonders hemmend. Neben monatlichen Meldungen für Gründer beziehungsweise Quartalsmeldungen und Erklärungen gehören hierzu die vorgeschriebenen Aufzeichnungspflichten, die die Kleinunternehmer belasten. Durch das Bürokratieentlastungsgesetz III wurde die umsatzsteuerliche Kleinunternehmergrenze von 17.500 Euro auf 22.000 Euro angehoben und die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung von 2021 bis 2026 ausgesetzt. Hier kann deutlich mehr getan werden. Die Bundesregierung sollte sich an der Anfang 2020 verabschiedeten KMU-Sonderregelung in der EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie orientieren, die in Bezug auf den voraussichtlichen Jahresumsatz eine Kleinunternehmergrenze von maximal 85.000 Euro zulässt. Diese Möglichkeit sollte in Deutschland ausgeschöpft und so übernommen werden. Für die Vorjahresumsätze könnte die Grenze auf 35.000 Euro erhöht werden.

Die Buchführung gibt der Finanzverwaltung wichtige Grundlagen für die Steuererhebung und den Unternehmen selbst einen unternehmerischen Kompass. Die Buchführungspflichten stellen aber gerade für kleinere Unternehmen einen erheblichen Aufwand dar und binden Ressourcen. Deshalb sollte aus Sicht der IHK-Organisation die Grenze für Buchführungspflicht nochmals angehoben werden: von 60.000 auf 100.000 Euro Jahresgewinn, beziehungsweise von 600.000 auf 1 Million Euro Jahresumsatz. Das würde es auch vielen jungen Unternehmen ermöglichen, anstelle einer Bilanz eine weniger aufwendige Einnahme-Überschussrechnung aufzustellen (wobei auch hier Verbesserungen angezeigt sind, wie der nachfolgende Abschnitt zeigt).

Eine große entlastende Wirkung hätte es, wenn die generelle Pflicht zur Aufstellung einer Einnahme-Überschussrechnung (EÜR) abgeschafft würde. Derzeit müssen Kleinstunternehmen (Gewinn weniger als 60.000 Euro und Umsatz weniger als 600.000 Euro jährlich) ihren Gewinn unter Einsatz des EÜR-Formulars ermitteln. Das Formular ist so komplex, dass es von den meisten jungen Unternehmen nicht ohne externe Expertenhilfe ausgefüllt werden kann. Zumindest sollte das Formular "EÜR" deutlich vereinfacht werden. Statt 31 Seiten inklusive Erläuterungen sollte eine Doppelseite vom Umfang her genügen, um alle relevanten Informationen für die Steuerfestsetzung von Kleinstunternehmen zu erhalten. Spezielle Daten könnten in einer Anlage beziehungsweis elektronischen Verlinkung abgefragt werden.

Die Umsatzgrenze der Ist-Besteuerung wurde durch das Jahressteuergesetz 2019 bereits auf 600.000 Euro heraufgesetzt. Der DIHK empfiehlt eine weitere Anhebung auf 1 Million Euro, um die Liquidität der Unternehmen zu stärken. Gerade für neu gegründete und junge Unternehmen, die in dieser Phase oft hohe Anfangsinvestitionen tätigen, wirkt sich der Liquiditätsvorteil der Besteuerung nach tatsächlich vereinnahmten Entgelten im Gegensatz zur Besteuerung nach oftmals noch nicht vereinnahmten Rechnungsbeträgen positiv aus.

Die "Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form" (GoBD) konfrontieren gerade kleine Unternehmen mit komplexen und sehr anspruchsvollen Anforderungen. Aufgrund der schweren Verständlichkeit der GoBD und der vielfach unklaren Rechtsbegriffe sind Unternehmen verunsichert, und es entstehen hierdurch große Risiken hinsichtlich der richtigen Befolgung der Vorschriften. Die Vorschriften sollten deshalb verständlicher formuliert und überdies die Anforderungen gerade an kleine und junge Unternehmen reduziert werden. Bestes Beispiel ist hierfür die sogenannte "Verfahrensdokumentation", die eine umfassende Aufzeichnung und Dokumentation aller steuerlich relevanten Prozesse verlangt. Hier sollte mit Augenmaß vorgegangen und mit Blick auf die begrenzten finanziellen und organisatorischen Ressourcen Erleichterungen für diese Unternehmen geschaffen werden.

Maßnahmen, die sämtliche Unternehmen entlasten

Lange und weit zurückreichende Prüfungszeiträume sorgen für Rechtsunsicherheit und verursachen Kosten für die Aufbewahrung von Belegen. Zudem ist es im digitalen Zeitalter kaum noch möglich, die Archiv- und Produktivsysteme über einen Zeitraum von zehn Jahren zu hosten beziehungsweise mit den erforderlichen Updates zu versorgen. Ganz zu schweigen von den Problemen der Unternehmen, die in der Vergangenheit eingesetzten IT-Systeme von geschulten Mitarbeitern zu bedienen. Die Verkürzung der Betriebsprüfungszeiträume sollte für die Finanzverwaltung technisch möglich sein und zur Entlastung der Unternehmen umgesetzt werden. Konkret sollten sich Bund und Länder verpflichten, Betriebsprüfungen spätestens fünf Jahre nach Steuerentstehung durchzuführen. In der Folge könnten auch die Aufbewahrungsfristen auf fünf Jahre verkürzt werden.

Die elektronischen Meldeverfahren bei den Statistiken sollten von den statistischen Ämtern stärker beworben und unterstützt werden. Elektronische Formulare sind dabei keine Erleichterung gegenüber Papier, wenn Daten nicht mehrfach verwendet werden können. Wiederkehrende Daten sollten grundsätzlich nicht mehrfach abgefragt, sondern die Daten der zuletzt abgegebenen Meldungen in möglichst umfassender Weise als Vorschlagswerte angeboten werden. Der elektronische Zugang sollte über eine einmalige Registrierung möglich sein, mehrfache Registrierungen und Passwörter sind gerade für KMU und junge Unternehmen belastend.

Die Komplexität und die Änderungshäufigkeit des Steuerrechts führen zu Unsicherheiten mit der Gefahr von Fehlern und Folgekosten – gerade auch bei jungen Unternehmen. Rechtssicherheit ist in vielen Fällen nur durch eine Auskunft zur steuerlichen Einordnung eines Sachverhaltes durch die Finanzverwaltung erreichbar. Die Finanzbehörden sind nicht verpflichtet, solche verbindlichen Auskünfte zu erteilen. Darüber hinaus gilt die Auskunft ausschließlich für zukünftige, noch nicht verwirklichte Sachverhalte und die Frist (sechs Monate) zur Erteilung ist sehr lang. Die Erteilung der verbindlichen Auskunft ist gebührenpflichtig, wobei die Gebühr am Gegenstandswert bemessen wird, was für eine Auskunft für eine korrekte Rechtsanwendung häufig unangemessen hoch ist. Steuerpflichtige sollten deshalb die Möglichkeit haben, Rechtssicherheit für die Anwendung von Steuern zu gewinnen, so wie es in anderen Ländern der EU bereits mit gutem Erfolg praktiziert wird. Dazu sollte es einen Rechtsanspruch auf eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung geben, die zeitnah erteilt wird und deren Kosten angemessen sind (maximal sechs Monate, besser drei Monate; Zeitgebühr, auch bei der Rücknahme eines Antrages). Die Anrufungsauskunft bei der Lohnsteuer sollte auf die Umsatzsteuer ausgedehnt werden. Ein Recht auf verbindliche Auskünfte sollte auch gegenüber den Sozialversicherungsträgern eingeführt werden (Statusfeststellung). Hier sind die Unsicherheiten über eine korrekte Rechtsanwendung ähnlich hoch wie bei Steuerfragen.

Das Ziel, den Steuerbetrug zu bekämpfen, ist anerkannt. Über den Sinn der Bon-Pflicht wurde und wird allerdings kontrovers diskutiert. Das betrifft gerade Kleinbetragsrechnungen. Grundsätzlich sollten für sämtliche Kassenumsätze Ausnahmen von der starren Kassenbon-Pflicht eingeführt werden, bei denen in den Systemen Transaktionsdaten gesichert werden – etwa beim Zahlen mit EC-, Mitarbeiter- oder Kundenkarte. Eine doppelte Sicherung von Vorgängen hat in diesem Fall auch für die Finanzverwaltung keinen Mehrwert und sollte deshalb unterbleiben. Gerade erst gegründete Unternehmen, bei denen Registrierkassen eingesetzt werden, könnten so merklich entlastet werden.

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Porträtbild Dr. Marc Evers, Referatsleiter Mittelstand | Existenzgründung | Unternehmensnachfolge
Dr. Marc Evers Referatsleiter Mittelstand, Existenzgründung, Unternehmensnachfolge