Pfadnavigation

Zwei neue Entscheidungen des BFH zur Organschaft im Umsatzsteuerrecht

Rechtsprechungsänderung zur finanziellen Eingliederung und erneute EuGH-Vorlage zu Innenumsätzen
Organschaft im Umsatzsteuerrecht

© Luis Alvarez / DigitalVision / Getty Images

Erfordert die so genannte finanzielle Eingliederung die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft? Sind so genannte Innenumsätze zwischen den Mitgliedern einer umsatzsteuerlichen Organschaft steuerpflichtig? Die Vorlage an den EuGH zu den Innenumsätzen könnte zur Gretchenfrage für die Unternehmen werden. Einzelheiten zu den aktuellen BFH-Entscheidungen erfahren Sie hier.

Die umsatzsteuerliche Organschaft war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand gerichtlicher Verfahren, was deren rechtskonforme Anwendung für alle Beteiligten nicht immer vereinfacht hat. Auf zwei Vorlagen des Bundesfinanzhofs (BFH) hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Anfang Dezember 2022 in wegweisenden Entscheidungen reagiert. Der XI. Senat hat auf dieser Basis seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung in Bezug auf das Kriterium der Willensdurchsetzung geändert. Für den V. Senat ergeben sich neue Fragen zur Behandlung von Innenumsätzen. Die Entscheidung des EuGH werden die Unternehmen mit großer Spannung erwarten, da sie über die Zukunft der Organschaft entscheiden dürfte.

BFH-Urteil des XI. Senats vom 18. Januar 2023, Az. XI R 29/22

Zur Frage, wer Steuerpflichtiger der Organschaft ist, hatte der EuGH Anfang Dezember 2022 entschieden, dass grundsätzlich zwar die Mehrwertsteuergruppe (in Deutschland: Organschaft) der Steuerpflichtige ist. Gleichwohl könne auch ein Mitglied dieser Gruppe – nämlich wie in Deutschland vorgesehen ihr Organträger – zum einzigen Steuerpflichtigen für Mehrwertsteuerzwecke bestimmt werden. Geknüpft ist diese Ausnahme daran, dass der Organträger in der Lage sein muss, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen. Zudem darf daraus keine Gefahr von Steuerverlusten resultieren (Urteile C-141/20 und C-269/20 vom 1. Dezember 2022).

Finanzielle Eingliederung ohne Stimmrechtsmehrheit möglich

Der XI. Senat des BFH sieht im Entscheidungsfall beide Kriterien als erfüllt an. Eine Gefahr für das Steueraufkommen sei nicht gegeben, da die Organgesellschaft nach § 73 Abgabenordnung (AO) für die Umsatzsteuer des Organträgers hafte.

Hinsichtlich der Willensdurchsetzung ändert der BFH seine Rechtsprechung. Er sieht die finanzielle Eingliederung auch dann als gegeben an, wenn dem Gesellschafter zwar nur 50 Prozent der Stimmrechte zustehen. Allerdings sei die Willensdurchsetzung bei der Organgesellschaft dadurch gewährleistet, dass er eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt. Die schwächere finanzielle Eingliederung werde durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung in Form der Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen ausgeglichen. Der Organträger könne seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und eine abweichende Willensbildung durch die 50 Prozent Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung verhindern (Rz. 37 des Urteils). Schwestergesellschaften können weiterhin allein keine Organschaft bilden (Rz. 38 des Urteils).

BFH-Beschluss vom 26. Januar 2023, Az. V R 20/22

Nachdem der EuGH Anfang Dezember 2022 die Selbständigkeit der Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe / Organschaft hervorgehoben hat, steht die Frage nach der Steuerbarkeit der Umsätze zwischen den Gruppenmitgliedern (so genannte Innenumsätze) im Raum. Mit der aktuellen Vorlage des V. Senats des BFH soll dies nunmehr geklärt werden. Dabei unterscheidet der BFH,

  • ob entgegen der bisherigen BHF-Rechtsprechung sämtliche entgeltlichen Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger steuerbar sind (siehe Vorlagefrage 1) und
  • ob dies zumindest dann der Fall ist, wenn es sich um Umsätze an einen Leistungsempfänger handelt, der nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da dann die Gefahr von Steuerverlusten bestehe (siehe Vorlagefrage 2).

Die Gefahr von Steuerverlusten besteht nach Ansicht des Senats, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger – wie im Vorlagefall – nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, da er steuerfreie Krankenhausleistungen erbringt. Im Fall der Steuerbarkeit der Innenumsätze werde die Umsatzsteuer für die Leistungen der Organgesellschaft beim Organträger definitiv, während sie bei der Nichtsteuerbarkeit der Umsätze gar nicht erst entstehe. Insoweit könne auch die Haftungsregelung des § 73 AO entsprechende Steuerverluste nicht vermeiden.

Seine Zweifel an der Nichtsteuerbarkeit stützt der V. Senat unter anderem auf die EuGH-Entscheidungen vom 1. Dezember 2022 sowie die dazu ergangenen Schlussanträge der Generalanwältin Medina.

Rechtsunsicherheit bei Innenumsätzen bleibt

Die Entscheidung des EuGH zum neuerlichen Vorlageverfahren wird die Zukunft der umsatzsteuerlichen Organschaft bestimmen. Sollten Innenumsätze steuerbar sein, wird sie für das Gros der Unternehmen ihren Hauptnutzen – keine umsatzsteuerlich korrekten Rechnungen stellen zu müssen – verlieren. Die vielzitierten Besteuerungsvorteile nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigter Leistungsempfänger besteht für die meisten Organschafts-Konstellationen gerade nicht. Ein Antragsverfahren wird auch für diese Unternehmensgruppen noch wichtiger.

Kontakt

Portraitfoto Brigitte Neugebauer
RA Brigitte Neugebauer Referatsleiterin Umsatzsteuer, Verfassungsrecht | Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)