Die EU-Taxonomie-Verordnung ist als Bestandteil des Green Deal im Juli 2020 in Kraft getreten. Die ursprüngliche Idee: Finanzmarktakteure sollen eine Richtschnur für die Nachhaltigkeitsbewertung erhalten, sodass die Transparenz wächst und im Ergebnis die Finanzierung klima- und umweltfreundlichen Wirtschaftens begünstigt wird.
Die Taxonomie soll also gleich mehrere Funktionen erfüllen: Sie soll Investitionen in Nachhaltigkeit erhöhen, Sicherheit für Investoren schaffen, Privatanleger vor Greenwashing schützen, Unternehmen helfen, klimafreundlicher zu werden, Marktfragmentierung abmildern und dazu beitragen, Investitionen dorthin zu verlagern, wo sie am dringendsten benötigt werden.
Klima-Kriterien definiert, Umwelt-Kriterien in Arbeit
Die Taxonomie definiert anhand von sehr kleinteilig ausformulierten Kriterien, inwieweit ein Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen zu den insgesamt sechs von der EU benannten Klimaschutzzielen beiträgt und wie die Aktivitäten unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu bewerten sind. Vorläufig sind zwei Ziele ausformuliert: CO2-Minderung und Anpassung an den Klimawandel.
In großen Teilen wurden die Messlatten für den jeweiligen Beitrag zum Klimaschutz im Jahr 2021 und Anfang 2022 veröffentlicht, zuletzt die breit diskutierte, allerdings in den Parlamentsausschüssen durchgefallene Erweiterung der Taxonomie um Erdgas und Kernkraft, die den Übergang zu einer überwiegend auf erneuerbaren Energien basierenden Zukunft erleichtern sollen. Beide werden explizit als nachhaltige Brückentechnologien für die Stromerzeugung aufgenommen. Bis Ende Juni 2022 prüfen der EU-Rat und das EU-Parlament den sogenannten delegierten Rechtsakt, im dem die EU-Kommission beide Formen der Energiegewinnung aufgenommen hat.
Zudem hat die EU-Kommission im April 2022 eine Erweiterung in Form von zusätzlichen Bewertungsmöglichkeiten der wirtschaftlichen Aktivitäten in einem zweiten delegierten Rechtsakt bei Parlament und Rat eingereicht. Auch mit dieser Erweiterung soll den Unternehmen eine praxisgerechtere Transformation hin zur Klimaneutralität ermöglicht werden.
Neue Berichtspflichten für zwei Ziele, vier weitere folgen
Für die oben genannten ersten beiden Ziele "CO2-Minderung" und "Anpassung an den Klimawandel" gelten bereits seit dem 1. Januar 2022 neue Berichtspflichten für die Unternehmen: Sie müssen Reports über ihre "Corporate Social Responsibility" (CSR) erstellen, um ihre gesellschaftliche Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften nachzuweisen.
Die vier weiteren Ziele lauten:
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Kontrolle der Umweltverschmutzung
- Nachhaltige Nutzung und der Schutz der Wasser- und Meeresressourcen sowie
- Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Diese Ziele werden derzeit ebenfalls von der "Platform on Sustainable Finance" definiert, einem Expertengremium der EU. Erste – ebenfalls sehr umfangreiche – Veröffentlichungen wurden im vergangenen April vorgelegt. Bis Ende 2022 will die Kommission auch diese Ziele verabschieden.
Erste Anwendungspflichten greifen bereits und betreffen sowohl die Finanz- als auch die Realwirtschaft – über direkte Offenlegungspflichten, aber auch indirekt:
Mit Stand Juni 2022 sind bereits folgende Anwendungspflichten zur EU-Taxonomie zu beachten:
Banken müssen seit dem 1. Januar 2022 ihre "Taxonomie-Eligibility" offenlegen, also angeben, für welchen Anteil der von ihnen verwalteten Vermögenswerte es überhaupt Taxonomie-Kriterien gibt. Ab 2024 sind sie dann verpflichtet, jährlich zu berichten, wieviel Prozent der eigenen Finanzierungen mit den Nachhaltigkeitsanforderungen der Taxonomie konform sind ("Green Asset Ratio").
Gleichzeitig müssen seit Anfang 2022 zunächst kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern – beispielsweise Aktiengesellschaften – Angaben darüber machen, ob und in welchem Umfang für ihre Wirtschaftsaktivitäten Taxonomie-Nachhaltigkeitskriterien definiert sind. Ab 2023 müssen sie dann ihre "Taxonomie-Compliance" offenlegen, also angeben, ob die Kriterien eingehalten werden. Diese Berichtspflichten werden aller Voraussicht nach ausgeweitet, sodass künftig voraussichtlich viel mehr Unternehmen – darunter auch vermehrt mittelständische Betriebe – unmittelbar über ihre Nachhaltigkeit und damit auch ihre Taxonomie-Konformität berichten müssen.
Zusatzangaben auch in nichtfinanziellen Erklärungen
Für die Unternehmen schreibt die EU-Kommission in Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung ebenfalls vor, Transparenz in nichtfinanziellen Erklärungen herzustellen. Jedes Unternehmen, das verpflichtet ist, nichtfinanzielle Angaben zu veröffentlichen, muss in seine nichtfinanzielle Erklärung oder konsolidierte nichtfinanzielle Erklärung Angaben darüber aufnehmen, wie und in welchem Umfang seine Aktivitäten mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten gemäß der Taxonomie-Verordnung einzustufen sind. Das betrifft insbesondere den Anteil der Umsatzerlöse eines Unternehmens, der mit Produkten oder Dienstleistungen erzielt wird, die als ökologisch nachhaltig eingestuft werden.
Zudem müssen die Anteile der Investitionsausgaben und der Betriebsausgaben angegeben werden, die als ökologisch nachhaltig eingestuft sind. Inhalt und Darstellung der zu liefernden Angaben hat EU-Kommission in einem weiteren Rechtsakt erläutert. Das betrifft auch die Methode, die von einem Unternehmen anzuwenden ist, um die Informationen zur Verfügung zu stellen.
Für größere Unternehmen ab 2023
Unternehmen ab 250 Mitarbeitern müssen die Richtlinie grundsätzlich ab Geschäftsjahr 2023 anwenden, kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Unternehmen ab Geschäftsjahr 2026. Standards für die Informationen, die KMUs vorlegen müssen, sollen bis zum 31. Oktober 2023 vorgelegt werden.
Aktuell sollen "Super"-Standards im Sinne von universellen Berichtsstandards erarbeitet werden, mit denen klare Vorgaben darüber gemacht werden sollen, was und in welcher Form zu berichten ist.
Unternehmen ab 250 Mitarbeitern müssen demnach nicht nur Informationen zu Umweltfragen, sondern auch zu sozialen Angelegenheiten und die Behandlung von Mitarbeitern, zur Achtung der Menschenrechte, zu Korruptions- und Bestechungsbekämpfung und Vielfalt in den Unternehmensvorständen (in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bildungs- und Berufshintergrund) liefern. Branchenspezifische Standards sollen ebenfalls bis Ende Oktober 2023 ausgearbeitet werden.
Förderregeln könnten ebenfalls betroffen sein
Zudem zeichnet sich ab, dass die Taxonomie-Kriterien nicht wie ursprünglich geplant nur für den Finanzmarkt als Richtschur gelten werden, sondern unter anderem auch bei staatlichen Förderregeln zur Anwendung kommen und somit über eine Förderfähigkeit mitentscheiden.
Nicht zuletzt gilt in der Praxis: Banken und die aktuell bereits berichtspflichtigen Unternehmen reichen die an sie gestellten Anforderungen auch an ihre Kunden beziehungsweise Zulieferer weiter. Denn um Kennzahlen berechnen oder die eigene Taxonomie-Konformität umfassend beurteilen zu können, benötigen sie deren Daten. Das ist ein hoch komplexes Unterfangen – und wird sich unter anderem auch auf die Kreditvergabe auswirken.
Frühzeitige Vorbereitung ist ratsam
Die EU-Taxonomie dürfte also für Betriebe aller Größenkategorien einen erheblichen Aufwand mit sich bringen. Auch kleine und mittlere Unternehmen werden immer öfter Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen müssen und sind gut beraten, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen.
Zudem sollte eine Verbesserung dieser Bilanz hin zu einer stärkeren Klimaneutralität in den Fokus rücken, denn perspektivisch ist zu erwarten, dass sie den Zugang zu Finanzierungen und Konditionen bestimmen wird. Schließlich ist das erklärte Ziel der Taxonomie nicht nur, Transparenz zu schaffen, sondern auch, Kapital in als nachhaltig definierte Wirtschaftsbereiche umzulenken.
Offene Fragen rund um Trennschärfe und Umsetzung
Inwieweit sich mithilfe der Taxonomie die angestrebten klima- und umweltpolitischen Effekte erreichen lassen, lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht abschließend beantworten. Denn in der Praxis lassen sich wirtschaftliche Tätigkeiten oft nicht trennscharf in "nachhaltig" oder "nicht nachhaltig" einteilen.
Unternehmen, die heute noch viel CO2 emittieren, machen sich vielfach auf den Weg, ihre Produktionsverfahren und Energieversorgung umzustellen. Dieser Wandel hin zur Klimaneutralität sollte nicht ausgebremst werden, indem der Zugang zu Finanzierungen für die notwendigen Investitionen erschwert wird. Ob hier die aktuell diskutierte Erweiterung der Taxonomie eine Verbesserung bringt, ist noch unklar. Auch tragen zahlreiche heute noch emissionsintensive Branchen zur Herstellung von Klimaschutztechnologien bei, beispielsweise werden in jeder Windkraftanlage große Mengen Stahl, Kupfer und Kunststoffe verbaut. Kann die Herstellung solcher elementaren Bestandteile und Zwischenprodukte in einem Fall als nachhaltig klassifiziert werden, in einem anderen aber als schädlich?
Darüber hinaus hat die Debatte um die Nachhaltigkeit von Gaskraftwerken und Atommeilern gezeigt, dass sich an der Einstufung mancher Aktivitäten die Geister scheiden. Und nicht zuletzt bietet die Taxonomie als lebendiges Regelwerk, das ständig weiterentwickelt und ausgeweitet werden soll, noch längst nicht für alle Bereiche des Wirtschaftens belastbare Kriterien. Die bereits heute hohe Komplexität wird also weiter zunehmen und in den Betrieben einen erheblichen Aufwand verursachen.