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Peter Adrian: Wir brauchen jetzt dringend Taten

Gemeinsame Verbände-Erklärung zum Kanzler-Treffen in München
Adrian Münchener Spitzengespräch 2024

Die Verbandspräsidenten und der Kanzler (v.l.n.r.): Rainer Dulger, Jörg Dittrich, Olaf Scholz, Siegfried Russwurm und Peter Adrian

© DIHK/Andreas Gebert

"Die Politik muss über ihre ideologischen Schatten springen und im Sinne des Landes handeln": Das fordert Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), anlässlich des diesjährigen Münchener Spitzengesprächs der Deutschen Wirtschaft.

Ihr traditionelles Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen Peter Adrian und die Verbandspräsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) zum Anlass, in einer gemeinsamen Erklärung zu skizzieren, wie Vertrauen zurückgewonnen und der Standort Deutschland gestärkt werden kann.

Herausforderungen gemeinsam angehen

Peter Adrian dynamisch

Peter Adrian

© DIHK / Werner Schuering

Denn es bestehe "Gesprächsbedarf zwischen Wirtschaft und Politik", so DIHK-Präsident Adrian. "Neben notwendigen Erleichterungen bei Energie, Steuer und Bürokratie geht es vor allem darum, wie wir unser Land wieder auf die Erfolgsspur führen. Die Lage ist ernst, und wir müssen die Herausforderungen gemeinsam angehen."

Deutschland befinde sich das zweite Jahr in Folge in einer Rezession. "Das gab es zuletzt 2002/2003 und ist ein Alarmsignal", stellt Adrian klar. Die Krisen der vergangenen Jahre und zögerliche Entscheidungen bewirkten, dass Deutschland derzeit im internationalen Wettbewerb zurückfalle.

Zunehmende Schieflage

"Die deutsche Wirtschaft gerät zunehmend in eine Schieflage", warnt der DIHK-Präsident. "Strukturelle, längst überfällige Herausforderungen müssen gemeistert werden und gleichzeitig drückt eine anhaltende schlechte konjunkturelle Entwicklung auf die wirtschaftliche Lage. Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität. Ausbleibende Investitionen und negative Konjunkturerwartungen unterstreichen das."

Die Unternehmen würden in der Breite nur dann wieder mehr Vertrauen in die Politik gewinnen, wenn positive Veränderungen in ihrer Praxis ankämen – schnell und konkret. "Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen – und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu", berichtet Adrian. "Bei ausbleibenden Investitionen und einem schrumpfenden Mittelstand kann die Transformation in Richtung Klimaneutralität nicht gelingen."

Zu den bereits in der DIHK-Resolution "#GemeinsambesseresSchaffen – jetzt" genannten Herausforderungen zählt der DIHK-Präsident wettbewerbsfähige Energiepreise, Investitionen in Infrastruktur, Bürokratieabbau und die überfällige Steuerreform. "Wir brauchen jetzt dringend Taten und keine weitere Hängepartie in der Wirtschaftspolitik."

Die wesentlichen Stellschrauben benennt die DIHK in einer gemeinsamen Erklärung mit BDA, BDI und ZDH, hier im Wortlaut:

Zehn Punkte, um Vertrauen zurückzugewinnen und den Standort Deutschland zu stärken

Die deutsche Wirtschaft steht vor großen strukturellen Herausforderungen. Nicht nur der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder geopolitische Verwerfungen belasten Wertschöpfungs- und Lieferketten. Hausgemachte Probleme kommen hinzu. Notwendige Strukturreformen sind in den zurückliegenden Jahren unterblieben. Hier gilt es anzusetzen. Denn die Transformation der deutschen Wirtschaft, die wesentlich von Digitalisierung und Dekarbonisierung getrieben ist, kann nur von starken und wettbewerbsfähigen Unternehmen gestemmt werden. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sind folgende zehn Handlungsfelder zentral:

Die Wirtschaft in Deutschland braucht international konkurrenzfähige Strompreise. Der Einigung der Bundesregierung zu einer Kraftwerksstrategie sollten nun sehr rasch die konkreten Ausschreibungen folgen, für die auch Klarheit über die Standorte notwendig ist. Die rasant steigenden Netzentgelte müssen weiterhin durch einen staatlichen Zuschuss begrenzt werden, um das Preisniveau zu stabilisieren. Damit der nationale Wasserstoff-Hochlauf gelingt, muss das Finanzierungsmodell des Kernnetzes kapitalmarktfähig und rechtlich verankert werden.

Wachstum, Innovation und Veränderungsgeschwindigkeit in Deutschland werden durch zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst. Die im Pakt zur Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung beschlossenen Gesetzesänderungen müssen konsequent umgesetzt werden. Für mehr Tempo müssen alle Maßnahmen ohne Einschränkungen in allen relevanten Gesetzen umgesetzt werden. Dabei darf es allerdings nicht zu Einschnitten in das Vergaberecht kommen. 

Deutschland ist durch eine Überkomplexität und Fülle von bürokratischen Vorschriften belastet. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) kann ein erster Anstoß sein, eine spürbare Entlastung zu erreichen. Der vorliegende Entwurf des BEG IV muss aber noch umfassend ergänzt werden. Die Wirtschaft hat viele Vorschläge eingereicht, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Bestehende Lasten – gerade bei den Berichts- und Nachweispflichten – müssen im Wege von Praxis-Checks identifiziert und abgebaut werden, neue Bürokratie muss systematisch vermieden und die Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung vorangetrieben werden. Zudem muss das Arbeitsrecht modernisiert und auf Eingriffe in die Tarifpartnerschaft verzichtet werden. 

Weite Teile der Infrastruktur weisen erhebliche Defizite auf. Dies gilt insbesondere für die Verkehrswege sowie die Energie- und Ladeinfrastruktur. Wir brauchen Sanierung ebenso wie Ausbau. Schnellere Verfahren, standardisierte Genehmigungen und der Verzicht auf umfassende neue Genehmigungen bei Sanierungen sind entscheidend, um insbesondere im Verkehr die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur in den kommenden Jahren zu gewährleisten. Im Rahmen einer Re-Priorisierung der öffentlichen Haushalte braucht es verlässliche und stetige Investitionen in die Infrastruktur. Das Potenzial ländlicher Räume für Wachstum und nachhaltige Transformation muss gehoben werden.

Der Standort Deutschland muss durch eine grundlegende Steuerreform gestärkt werden. Dazu gehören die Einführung einer dauerhaften Investitionsprämie, verbesserte Abschreibungsbedingungen und die Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung auf ein international übliches Niveau. Ziel muss eine Absenkung der Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland auf maximal 25 Prozent sein. Hierzu ist der Solidaritätszuschlag aus Sicht der Unternehmen vollständig abzuschaffen und die Thesaurierungsrücklage mittelstandsgerecht auszugestalten. Die Senkung der Strom- und Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß muss für alle Unternehmen und Betriebe umgesetzt werden.

Die Arbeits- und Fachkräftesicherung ist eine entscheidende Stellschraube zur Standortsicherung in Deutschland. Alle Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden. Dazu gehört eine funktionierende Erwerbsmigration genauso wie die Aktivierung aller inländischen Potenziale. Wir brauchen zum Beispiel deutlich einfachere und attraktivere beitragsrechtliche Regeln für die Beschäftigung von Rentnern. Mehr junge Menschen müssen für die duale Ausbildung gewonnen werden. Bei der Erwerbsmigration muss es endlich gelingen, auch die Prozesse und Abläufe zu verbessern, zu beschleunigen und zu digitalisieren.

Anfang 2023 wurde erstmalig seit zehn Jahren die 40-Prozent-Marke bei den Sozialbeiträgen überschritten. Wir brauchen dringend nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung, aber ganz besonders in der Kranken- und Pflegeversicherung. Außerdem braucht es Berichte und Projektionen für die Zukunft der einzelnen Sozialversicherungszweige und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag insgesamt. Das erhöht die Transparenz, zeigt den Reformbedarf auf und befördert langfristige Entscheidungen.

Laut Koalitionsvertrag soll über das Jahr 2025 hinaus ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent garantiert werden. Eine dauerhafte Festschreibung auf mindestens 48 Prozent würde die langfristigen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung weiter verschärfen. Denn im Zuge des demografischen Wandels drohen ohnehin deutlich steigende Rentenbeiträge. Die Rentenversicherung darf nicht zusätzlich mit teuren Leistungsversprechen belastet werden, es müssen vielmehr Maßnahmen ergriffen werden, die den Druck auf den Beitragssatz senken.

Im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wurden umfangreiche und unverhältnismäßig bürokratische Vorgaben insbesondere auch für mittelständische Unternehmen geschaffen. Dies bedeutet kostenintensive externe Beratungen und beeinträchtigt die Diversifizierungs- und Umsetzungsbemühungen der Unternehmen. Die LkSG-Umsetzungsvorgaben sollten daher unbedingt bürokratiearm sowie praxistauglich ausgestaltet werden und konsistent mit EU-Initiativen wie der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sein. Auch die Auswirkungen auf KMU müssen stärker in den Blick genommen werden. Das Gesetz und die Umsetzungsvorgaben sowie auch die europäische Variante CSDDD sollten grundsätzlich überdacht werden.

Die EU ist gefordert, ihre Attraktivität als Partner in der handelspolitischen Zusammenarbeit gegenüber der globalen Konkurrenz zu erhöhen. Damit die dringend notwendige Diversifizierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte gelingen kann, ist eine strategisch geleitete Handelspolitik zwingend. Die Bundesregierung sollte eine Überfrachtung potenzieller Abkommen vermeiden und für mehr Flexibilität in den Verhandlungen werben, um wichtige Abkommen wie mit Mercosur, Australien, Indien und Indonesien abzuschließen.

Kontakt

Ohlig, Dominik_WEB
Dominik Ohlig Pressesprecher