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Deutsche Schule Kiew / Ukraine

Kriegsalltag der deutsch-ukrainischen Begegnungsschule
Deutsch-Ukrainische Begegnungsschule Kiew

Auch die Weihnachtsfeier 2022 musste im Schutzkeller stattfinden

© Deutsch-Ukrainische Begegnungsschule Kiew

Ein Sonderpreis der Jury, dotiert mit 7.000 Euro, würdigt das Engagement der Deutsch-Ukrainischen Begegnungsschule in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die Schule versucht seit Beginn des Krieges, möglichst "normalen" Unterricht anzubieten – digital, hybrid oder in Präsenz. Die großen Herausforderungen schultert die Schule mit einem speziellen Konzept.

Die Idee:

Die Deutsche Schule Kiew befindet sich im Ausnahmezustand. Ging es im Frühjahr 2022 noch um das Überleben eines jeden einzelnen Mitglieds der Schulgemeinschaft, so geht es jetzt um das Überleben der Schule als Ganzes.

Als nach Kriegsbeginn der Unterricht zu 100 Prozent auf Online-Modus umgestellt wurde, war es schwierig, einen Lernalltag für die vor dem Krieg geflüchteten Kinder zu ermöglichen. Wie sollte in diesen Zeiten Unterricht durchgeführt werden? Wie sollten den Schülerinnen und Schülern Inhalte mit Bezug zur Lebenswirklichkeit vermittelt werden, wenn doch alle lernen mussten, dass das normale Leben nur allzu oft von der Wirklichkeit überholt werden kann?

Viele waren verunsichert, bis vonseiten der Kinder und Jugendlichen der Wunsch kam "Können wir nicht einfach normalen Unterricht machen?" Die Reaktion darauf: "Das können wir, das schaffen wir – wenn ihr uns dabei helft!" Dieser "normale" Unterricht ist es, der die Lehrerinnen und Lehrer seitdem antreibt und Ziel all ihrer Bemühungen geworden ist. Denn das, heißt es aus der Schule, "sind wir den Kindern in diesen schweren Zeiten schuldig: ein kleines Stück Normalität bewahren".

Bereits im Mai 2022 entschied das Auswärtige Amt, dass die Förderung der Deutschen Schule Kiew auch im Schuljahr 2022/2023 beibehalten würde. Die Schule sollte geöffnet bleiben. Es lag am pädagogischen Team, hierfür ein Konzept zu entwickeln, mit dem die anstehenden Herausforderungen im Unterrichtsalltag bewältigt werden konnten.

Die Praxis:

Folgende Probleme standen zu Beginn des Schuljahres im Mittelpunkt:

Umgang und Unterricht bei Luftschutzalarm

  • Die Stadtverwaltung von Kiew erlaubt den Schulen nur einen regulären Betrieb, wenn sie über einen Luftschutzkeller verfügen, den man im Falle eines Alarms aufsuchen kann.
  • Die Deutsche Schule Kiew besitzt einen solchen Luftschutzraum.

Organisation des Unterrichts

  • Auf Anweisung des Auswärtigen Amtes durften die deutschen Kolleginnen und Kollegen nicht wieder in die Ukraine einreisen. Eine Beschulung vor Ort war somit nicht in jedem Fach möglich. Ein hybrider Modus (Online-Unterricht durch die Lehrkräfte in Deutschland plus Präsenzunterricht durch die Ortslehrkräfte in Kiew) musste entwickelt werden.
  • In welchem Format die Kinder am Unterricht teilnehmen, konnten die Familien selbst bestimmen: entweder in Präsenz in der Schule oder online von zuhause aus. Das führt zu reinen Online-Klassen, Hybrid-Klassen und Klassen im reinen Präsenzformat. Die jeweiligen Formate lassen sich mit Blick auf die Sicherheitslage sehr schnell ändern. Die Eltern müssen und können jeden Tag erneut entscheiden, ob ihr Kind am Präsenz- oder am Online-Unterricht teilnimmt. Das erfordert eine hohe Flexibilität der Lehrkräfte.

Folgende Probleme entwickelten sich im weiteren Verlauf des Schuljahres:

Strom- und Internetausfälle

  • Durch die Bombardierung der Energie-Infrastruktur der Ukraine kam es vermehrt zu Stromausfällen im Stadtgebiet.
  • Aufgrund der Stromausfälle gab es zeitgleich große Probleme mit dem Internet, wodurch der Online-Unterricht erheblich belastet wurde.

Von vornherein war klar, dass in all diesen Herausforderungen auch eine Chance lag – für die Schule und die Gemeinschaft. Keines dieser Probleme lässt sich ohne eine vertrauensvolle Zusammenarbeit lösen – zwischen den Lehrkräften, den Schülerinnen und Schülern, der Schulleitung und der Elternschaft. Die Schule ist als Gemeinschaft zusammengewachsen. Es geht darum, die beiden wesentlichen Erwartungen von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern zu erfüllen: Sicherheit und guter Unterricht.

Für jedes der oben genannten Probleme gibt es mittlerweile routinierte Vorgehensweisen:

  • Bei Luftalarm erfolgt sofort die Anweisung, den Klassenraum zu verlassen und geordnet in den Schutzkeller zu gehen. Die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort führen in vorbereiteten Bereichen des Kellers den Unterricht normal weiter. Der Online-Unterricht wird über bereitliegende Tablets im Keller fortgeführt.
  • Bei Online-Unterricht schalten sich die älteren Klassen 9 bis 10 selbstständig zum Unterricht zu. Die jüngeren Klassen werden von einer pädagogischen Kraft betreut. Diese unterstützt die Online-Lehrkräfte im Unterricht, indem sie Materialien verteilt, auf Disziplin achtet oder bei technischen Problemen hilft.
  • Bei Stromausfällen laufen die technischen Geräte über einen Akku vorerst im Normalbetrieb weiter.
  • Am frühen Morgen oder späten Nachmittag sind die Personen vor Ort mit Taschenlampen ausgestattet.
  • Bei Internetausfällen geht der Präsenzunterricht regulär weiter. Der Online-Unterricht bricht jedoch ab.
  • In diesem Fall holt sich jede Klasse ein Notfall-Tablet mit installierter SIM-Karte und kommt über das Internet des Mobilfunknetzes in den Online-Unterricht zurück. Die Unterrichtsverzögerung beträgt in diesen Fällen meist nur wenige Minuten.

Zentrales Element in all diesen Lösungsansätzen ist Vertrauen. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen den Schülerinnen und Schülern vertrauen, dass sie zu ihrer eigenen Sicherheit die Anweisungen reibungslos umsetzen. Die Eltern müssen der Schule vertrauen, dass alles unternommen wird, um die Sicherheit und Ausbildung der Kinder bestmöglich zu gewährleisten. Die Kinder wiederum müssen den Lehrenden und ihren Eltern vertrauen.

Die Schulkinder sind die Hoffnung auf eine bessere, friedliche Zeit, in der qualifizierte, bilinguale Fachkräfte gebraucht werden, um die Ukraine aufzubauen und weiterzuentwickeln. Sie bilden die Brücke bei wirtschaftlichen Kooperationen zwischen der Bundesrepublik und ihrem Heimatland, denn sie sind in Zeiten der Flucht geblieben, im Vertrauen auf die Schule und die Möglichkeiten, die das deutsche Bildungssystem ihnen bietet.

Dies ist die außergewöhnliche Leistung einer eingeschworenen Gemeinschaft, die eben nicht das Außergewöhnliche sucht, sondern ihr Ziel in der größtmöglichen Normalität findet. Solange Unterricht stattfindet, ist alles ein klein bisschen normaler – ein klein bisschen fast so wie früher.

Besondere positive Merkmale und Ausblick:

Das Projekt zeichnet sich durch seine besondere Stärken im Krisenmanagement aus, bezeugt durch den geringen Unterrichtsausfall, der trotz des russischen Angriffs im vergangenen Schuljahr bei lediglich vier Zeitstunden lag. Besonders bemerkenswert ist diese Leistung dadurch, dass in der Ukraine selbst in Friedenszeiten zum Teil so viel Unterricht ausfällt, dass vielerorts eine Vier-Tage-Woche eingeführt werden musste. Zudem würdigte die Jury, dass die Begegnungsschule trotz massiver Herausforderungen und ohne konkretes Projekt geschafft hat, eine hochwertige Bewerbung einzureichen.

Ziel ist es, den regulären Unterrichtsbetrieb weiterhin aufrechtzuerhalten, um auch in dieser schwierigen Situation und auch nach Kriegsende weiterhin eine grundlegende Ausbildung in einem weltweit anerkannten Schulsystem in der Ukraine anbieten zu können

Details finden Sie unter https://deutscheschule.kiev.ua.

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Porträtfoto Jana Heiberger, Referatsleiterin Fachkräftesicherung | Ausbildung
Jana Heiberger Referatsleiterin Berufsorientierung, Berufsschule, MINT-Förderung

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Porträtfoto Jan Kuper
Jan Kuper Referatsleiter Neue Entwicklungen in der beruflichen Weiterbildung