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"Der Vogel kann nichts dafür"

Solarkomplex-Vorstand Müller schildert den Frust vieler Anlagenbetreiber
Mann sitzt auf Solarmodulen

Die solarcomplex AG realisiert auch Photovoltaik-Anlagen – das läuft nach den Erfahrungen von Bene Müller unkomplizierter

© Kuhnle & Knödler, Radolfzell

Bene Müller will den Anteil erneuerbarer Energie in Baden-Württemberg deutlich ausbauen. Warum ihm da ein Vogel und so manche Auflage in die Quere kommen, erklärt er uns im Interview.

Herr Müller, eine der größten Herausforderungen für Windanlagenbetreiber ist der Vogelflug. Deshalb gleich die Frage: Was macht der Rotmilan?

Dem geht es prächtig, soweit ich das einschätzen kann. Die Bestandszahlen dieses besonders geschützten Vogels haben sich in Baden-Württemberg deutlich erhöht. Das ist gut dokumentiert. Im gesamtem Landkreis Konstanz gab es vor zehn Jahren nach Erhebungen des Bundes Umwelt und Naturschutz 100 bis maximal 150 Tiere. Heute sind es bis zu 50 Tiere – an einem einzigen Standort.

Das Aufkommen hat sich insgesamt etwa verdreifacht bis verfünffacht. Das ist erfreulich! Und es zeigt: Wenn sich die Population vergrößert, obwohl es Windkraftanlagen gibt, haben diese offensichtlich keinen Einfluss auf den Bestand, zumindest keinen negativen.

Trotzdem werden die behördlichen Auflagen auch bei steigender Population nicht verändert. Im Gegenteil: Je höher die Vogeldichte, desto strenger die Auflagen. Der Vogel kann nichts dafür – das Gesetz sieht das so vor.

Welche Auswirkungen hat das auf die Windkraft in Baden-Württemberg?

Energiewende ist ein regionales Thema. Das müssen wir vor Ort in die Hand nehmen. Wir haben in der Region einige wenige Windkraftanlagen. Die erreichen bald das Alter von 20 Betriebsjahren. Dann werden sie nicht mehr über das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. Heißt: Die Betreiber erhalten statt 9 Cent pro Kilowattstunde noch 3 bis 4 Cent. Damit sind sie nicht mehr rentabel.

Die Anlagen werden spätestens dann abgeschaltet, wenn die erste größere Reparatur anfällt. Deswegen gibt es zurzeit eher einen Rückbau statt eines Ausbaus in der Windkraft. Den Klimaschutzzielen des Landes- und der Bundesregierung dürfte das eher nicht helfen.

Können die Anlagen nicht erneuert werden?

Grundsätzlich schon. Und das möchten die Betreiber auch machen. Mit der gleichen Anzahl von Anlagen erhält man durch ein Repowering etwa den zehnfachen Stromertrag. Das lohnt sich für die Betreiber und für den Klimaschutz.

Der Erneuerung stehen aber zahlreiche Auflagen im Weg. Bei uns in Baden-Württemberg ist das ganz besonders das hohe Aufkommen des Rotmilans. Doch die Population entwickelt sich sehr positiv. Deswegen ist es Zeit, die Vorschriften pragmatisch zu überarbeiten oder zumindest flexibler zu gestalten.

So, wie es bei den Fledermäusen gemacht wird. Die sind hauptsächlich abends unterwegs. Zu diesen Zeiten werden in den Regionen mit hohem Fledermaus-Aufkommen die Anlagen ausgeschaltet. Das ist in Ordnung für alle: Die Fledermäuse werden geschützt, der Betreiber kann den zeitweisen Ausfall verkraften. Es gibt auch technische Lösungen, etwa Kameras, die den heranfliegenden Vogel erkennen und die Anlage automatisch abschalten können.

Was bedeuten die hohen Auflagen für Ihr Unternehmen?

Erst kürzlich hat ein mittelständischer Betreiber von Windkraftanlagen in Baden-Württemberg die Segel gestrichen. Es hat sich schlicht nicht mehr gelohnt. Ich sehe das in meinem Unternehmen ähnlich. Wir haben sechs Standorte zur Windkraft ins Rollen gebracht. Eines der Genehmigungsverfahren ist ruhend gestellt, eines ist in schwierigem Fahrwasser. Und eines haben wir offiziell beendet – ohne eine Genehmigung erhalten zu haben. Zurück bleiben, nur für dieses eine Projekt, Ausgaben in Höhe von 150.000 Euro und viel Frust.

Als solarcomplex AG realisieren wir auch Wärmenetze und Photovoltaik für große Dachanlagen. Auch dort spielen Natur- und Artenschutz eine Rolle, aber in den allermeisten Fällen finden wir eine gute Lösung für alle Seiten. Nur bei der Windkraft funktioniert das nicht. Dabei läuft uns die Zeit davon! Spätestens, wenn die Kohlekraftwerke vom Netz gehen, wird die Versorgungssicherheit ein Thema. Denn: Der Import von Energie kann keine echte Perspektive für ein Bundesland mit so hohem Energiebedarf sein.

Was schlagen Sie vor?

In den kommenden Jahren werden wir eher mehr als weniger Strom brauchen. Die E-Autos kommen, grüner Wasserstoff soll für die Industrie erzeugt werden. Baden-Württemberg ist mit Bayern das am stärksten vom Atomausstieg betroffene Bundesland. Deswegen brauchen wir den Ausbau neuer Kapazitäten und die können nur regenerativ sein.

Auf diesem Gebiet sind wir Entwicklungsland: In Deutschland beträgt der Anteil regenerativer Stromerzeugung am Bedarf etwa 50 Prozent, in Baden-Württemberg 26. Wollen wir aufholen, müssen wir Artenschutz und Klimaschutz neu abwägen: Freiräume ausloten, kreative Lösungen finden, Kompromisse zulassen – und "Repowering" auf Bundesebene gesetzlich regeln.

Kontakt

Porträtfoto Urban Comploj
Urban Comploj Referatsleiter Texte und Reden

Zur Person

Bene Müller ist Vorstand und Mitgründungsgesellschafter der solarcomplex AG, die heute 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat und eine Bilanzsumme von 71 Millionen Euro aufweist.

Müller ist Mitglied der IHK-Vollversammlung Hochrhein-Bodensee und im DIHK-Ausschuss für Umwelt und Energie.