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EU-Pläne zum Zahlungsverzug "im Kern ungeeignet"

Wirtschaft wendet sich auf breiter Front gegen die Verordnung
Geschäftsmann berechnet Finanzen mit einem Taschenrechner

Dass Fristverschärfungen und neue Behörden Zahlungsverzug eindämmen können, bezweifelt der Mittelstand

© SrdjanPav / E+ / Getty Images

"Mit sehr großer Sorge" verfolgt die deutsche Wirtschaft, wie die EU-Kommission die Zahlungsmoral in der Union per Gesetzgebungsakt verbessern möchte. Die geplante Verordnung gefährde die Existenz erfolgreich wirtschaftender Unternehmen, warnt etwa die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand.

Vertragstreue und fristgerechte Zahlungen seien "unverzichtbare Elemente eines lauteren geschäftlichen Verhaltens", stellen neun der zehn in der AG zusammengeschlossenen Verbände in einem neuen gemeinsamen Positionspapier klar.

Der Mitte September von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf einer Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr sehe jedoch vor, dass die Vertragsfreiheit der Unternehmen in den Lieferketten "empfindlich eingeschränkt" würde, kritisieren sie. Die geplanten Maßnahmen seien mit wirtschaftlichen Risiken und vor allem erheblichen Kosten verbunden, die die Folgenabschätzung der EU-Kommission "nicht ansatzweise" abbilde.

Fristverkürzung und behördliche Durchsetzung

Konkret sieht der Verordnungsentwurf Verschärfungen bei Zahlungsfristen und Verzugszinsen vor: Sowohl die Zahlungsfrist als auch die Dauer des in Deutschland üblichen Abnahme- und Überprüfungsverfahrens sollen nur noch maximal 30 Tage laufen dürfen. Überhaupt sollen Abnahme- und Überprüfungsverfahren auch nur noch ausnahmsweise zugelassen werden. Darüber hinaus sollen Gläubiger auf ihr Recht, Verzugszinsen zu verlangen, nicht mehr verzichten dürfen. Besonders bedenklich: Die Mitgliedstaaten sollen öffentliche Durchsetzungsbehörden benennen oder neu einrichten, die eine Einhaltung der Zahlungsfristen sicherstellen müssen und dafür weitreichende Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse erhalten sollen.

Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hält diese und weitere geplante Vorschriften für "im Kern ungeeignet, pünktliche und vertragsgerechte Zahlungen zu gewährleisten". Der gewählte Ansatz, die Zahlungsmoral durch gesetzliche Regelungen verbessern zu wollen, erscheine "insgesamt verfehlt".

Zahlungsfristen nicht unverhältnismäßig regulieren

Einvernehmlich verabredete Zahlungsfristen von mehr als 30 Tagen zu verbieten, auch wenn sie für beide Vertragspartner vorteilhaft seien, stehe "in keinem Zusammenhang mit dem Zahlungsverzug und ist daher auch ungeeignet, pünktliche Zahlungen zu gewährleisten", kritisiert die Arbeitsgemeinschaft. Stattdessen beschere diese Regelung den Schuldnern erhebliche Kosten für die Zwischenfinanzierung

Praxisgerechte Abnahme- und Überprüfungsverfahren ermöglichen

Auch dass die EU-Kommission für nationale Gesetzgeber die Möglichkeit beschneiden möchte, Abnahme- und Überprüfungsverfahren vorzusehen, stößt auf die Kritik der Verbände: Die bewährten, im deutschen Werkvertrags- und Handelsrecht vorgesehenen Regelungen seien in der Praxis erforderlich und würden "keineswegs genutzt, um Zahlungsfristen faktisch zu verlängern".

Abnahme- und Überprüfungsverfahren dienten vor allem dem Schutz des Lieferanten. Ihre Zulässigkeit zu beschränken, würde das Ziel des Verordnungsvorschlags, einen besseren Schutz der Gläubiger zu gewährleisten, zumindest teilweise konterkarieren. Und nicht zuletzt sei die im Entwurf enthaltene Ausnahmebestimmung hierzu so wenig konkret, dass mit der Regelung erhebliche Rechtsunsicherheiten verbunden seien.

Frist für Abnahme- oder Überprüfungsverfahren nicht beschneiden

Die im Entwurf vorgesehene pauschale Höchstdauer von 30 Tagen für Abnahme- und Überprüfungsverfahren – sofern sie überhaupt noch vereinbart werden dürfen – würden ebenfalls den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht, so die Verbände weiter. Tatsächlich könne es im Zusammenhang mit der Erstellung komplexer Werke wie etwa Maschinen oder Bauwerke im Interesse beider Vertragspartner liegen, längere Fristen für die Abnahme- und Überprüfung zu vereinbaren.

Vertragsfreiheit bei Verzugszinsen bewahren

Dass Gläubigern nach den Plänen der EU-Kommission verboten werden soll, auf Verzugszinsen zu verzichten, beschneide die unternehmerische Freiheit und ignoriere praktische Verhältnisse in den Beziehungen zwischen Unternehmen (B2B), monieren die Verbände. "Damit soll ein zivilrechtlicher Anspruch den Charakter eines zwingenden Handlungsgebots im Zivilrechtsverkehr erhalten."

Häufig sei dem Gläubiger eine Fortsetzung der Lieferbeziehung wichtiger als das Erheben von Verzugszinsen, stellen sie klar. Diese Frage solle er privatautonom entscheiden können.

Effiziente Rechtsdurchsetzung ohne unnötige Bürokratie ermöglichen

Eine besonders deutliche Kritik bezieht sich auf die von der EU-Kommission vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene Durchsetzungsbehörden für zivilrechtliche Vorgaben einzurichten. So wird nicht allein Bürokratie geschaffen. Dies wäre auch laut Arbeitsgemeinschaft "ein Fremdkörper in der deutschen Zivilrechtsordnung, der kaum gerechtfertigt werden könnte".

Hierzulande gebe es mit der Unterlassungsklage und der Vertragsstrafenvereinbarung wirksame Möglichkeiten der privaten Rechtsdurchsetzung, sodass die Einrichtung einer neuen Durchsetzungsbehörde nicht nur völlig unnötig sei, sondern in der Praxis die effiziente Rechtsdurchsetzung sogar beeinträchtigen würde.

Dercks: Gefahr für eine der größten Erfolgsgeschichten

Die Forderung der Arbeitsgemeinschaft, den Entwurf zurückzuziehen, zumindest grundlegend mit Blick auf die genannten Punkte zu überarbeiten, zieht sich durch die gesamte Wirtschaft:

Porträtfoto Achim Dercks gestikulierend

Achim Dercks

© DIHK / Werner Schuering

"Bei vielen Händlern, aber auch Herstellern herrscht große Unruhe über die geplante Zahlungsverzugsverordnung", berichtet etwa Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). "Ganze Branchen rechnen mit schweren wirtschaftlichen Schäden. Gerade für kleine und mittlere Händler drohen die Finanzierungskosten deutlich zu steigen."

Wegen kurzer Zahlungsziele müssten die Betriebe den Wareneinkauf häufig zwischenfinanzieren, erläutert er. Die dadurch entstehenden Liquiditätslücken müssten oftmals durch Kredite gedeckt werden. Nur einzelne Unternehmen sähen durch die Verkürzung der Zahlungsfristen Vorteile.

"Die Verordnung könnte eine der größten Erfolgsgeschichten in der Lieferkette zwischen Herstellern und ihren Abnehmern, Großhandel und Handel gefährden", warnt Dercks. "Denn sie zerstört die Möglichkeit individueller 'Finanzierungspartnerschaften' insbesondere zwischen dem Handel und seinen Lieferanten. Durch bilaterale Verabredungen bekommen diese Partner in der Regel bessere Lösungen hin, um gemeinsam mehr Waren verkaufen zu können."

Genth: Nicht pünktlich zu bezahlen, ist schon heute rechtswidrig

Porträtfoto Stefan Genth

Stefan Genth

© HDE / Hoffotografen

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), bewertet die Pläne der EU-Kommission als "ein klassisches Beispiel für gut gedacht und schlecht gemacht". Ihr Ziel, die Bekämpfung des Zahlungsverzugs, erreiche die Verordnung nicht. "Die Zahlungsfristen starr auf 30 Tage festzulegen, verhindert keine unpünktliche Zahlung und hilft deshalb niemandem weiter", stellt Genth klar. Denn: "Nicht pünktlich zu bezahlen, ist schon heute rechtswidrig und verpflichtet den säumigen Schuldner zur Zahlung von Verzugszinsen." Diese seien mit derzeit über zwölf Prozent hinreichend abschreckend. "Vorgaben für starre Zahlungsfristen zerstören aber Geschäftsmodelle, die für Lieferanten, Auftraggeber und Kunden wichtig und vollkommen in Ordnung sind."

Im Einzelhandel stünden beispielsweise Waschmaschinen oft länger als 30 Tage in den Regalen. In solchen Fällen sei die Vereinbarung einer längeren Zahlungsfrist für den Händler "existenziell", so der HDE-Hauptgeschäftsführer. Mit der Zahlungsverzugsverordnung entstünden für viele Handelsunternehmen existenzbedrohende Finanzierungslücken. Genth: "Das darf so nicht beschlossen werden. Da müssen die EU-Institutionen und die Bundesregierung deutlich gegensteuern." Die breite Allianz der mittelständischen Wirtschaft bei diesem Thema mache deutlich, "dass niemand diese Einschränkung der Zahlungsfristen braucht und will".

Finkelnburg: Für beide Seiten der Handelskette erfolgreiche Praxis

Porträtfoto Antonin Finkelnburg

Antonin Finkelnburg

© BGA / Marco Bußmann

Auch Antonin Finkelnburg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), warnt, dass Zahlungsfristen von maximal 30 Tagen ohne Ausnahmen in vielen Fällen "eine für beide Seiten der Handelskette erfolgreiche Praxis" verhinderten. "Aus unserer Erfahrung schließen die längeren Zahlungsfristen insbesondere bei kleineren Abnehmern eine Finanzierungslücke", sagt Finkelnburg. "Vor allem, wenn sie aufgrund spezifischer Marktbedingungen und Kundensituation auf lange Zahlungsziele angewiesen sind oder der Zugang zu anderen Finanzierungsinstrumenten fehlt."


Ein Beispiel: Einbau einer Wärmepumpe

Großhändler haben immer auch eine Finanzierungsfunktion: Wenn sie Lieferantenkredite gewähren, erhalten nachgelagerte Kunden bis zu 90 Tage Zeit, um die Ware ihrerseits weiterzuverkaufen.
 

Wie problematisch die geplante Neuregelung wäre, zeigt das Beispiel des Einbaus von Wärmepumpen: Ein Großhändler verkauft drei Wärmepumpen für je 80.000 Euro an einen Handwerker; die Lieferzeit beträgt 18 Monate. Der Handwerker kann die Geräte entsprechend nicht innerhalb von 30 Tagen einbauen, muss also gegenüber dem Großhändler weit in Vorleistung gehen. Insbesondere, wenn es sich um eine Reparatur oder Wartung und nicht um einen Neubau handelt, muss die Bezahlung dieser Wärmepumpen einem sehr genauen Zeitplan folgen. Gleichzeitig gibt es auf Baustellen oft unvorhergesehene Änderungen, sodass auch diese Zeitpläne nicht eingehalten werden können. Für Handwerker ist der Einbau solch hochpreisiger Produkte mit einem enormen Risiko behaftet, das umso höher wird, je knapper das Zahlungsziel gestaltet ist.

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Isabel Blume Referatsleiterin mit dem Themenschwerpunkt Recht der Europäischen Union und Internationales Wirtschaftsrecht

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Dr. Julia Schmidt Referatsleiterin Europäisches Wirtschaftsrecht

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Petra Blum Pressesprecherin

DIHK-Stellungnahme zum Verordnungsentwurf

Auch die DIHK hat den Verordnungsentwurf in einer Stellungnahme vom 27. Oktober 2023 kommentiert. Wenn auch einige Stimmen aus der Wirtschaft sogar eine weitergehende Verkürzung befürworteten, werde in gesetzlichen vorgeschriebenen Zahlungsfristen ganz überwiegend ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Vertragsfreiheit gesehen. Zudem beruhten Zahlungsverspätungen oder -ausfälle nicht ausschließlich auf bloßer Zahlungsunwilligkeit. Daher, so die DIHK, könne auch ein stärker reguliertes zivilrechtliches Umfeld nur bedingt Abhilfe schaffen.