Pfadnavigation

Mit Kompetenzförderung gegen den Fachkräftemangel

Zum Europäischen Jahr der Kompetenzen 2023/2024 – DIHK-Bildungsausschussvorsitzende Creusen im Interview
Junge Frau schraubt an einer Turbine

Die EU möchte dem Fachkräftemangel entgegentreten

© Hinterhaus Productions / Stone / Getty Images

Kontakt

Porträtfoto Kathrin Riedler
Kathrin Riedler Referatsleiterin EU-Bildungs- und Beschäftigungspolitik, EU-Fachkräftesicherung

Ein Jahr für die Qualifizierung in Europa

Autor/in: Mascha Dinter

Um die Aus- und Weiterbildung EU-weit zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu sichern, hat die EU-Kommission das Europäische Jahr der Kompetenzen (EJdK) ausgerufen, das mit dem Europatag am 9. Mai 2023 startete.

Ein wichtiges Projekt, denn der Fachkräftemangel bedroht wichtige Zukunftsaufgaben wie die Energiewende, den digitalen Wandel oder den Infrastrukturausbau in Europa. Mit dem Europäischen Jahr der Kompetenzen will die EU die Aus- und Weiterbildung fördern und so die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen sichern.

Mit Kompetenzförderung gegen den Fachkräftemangel

Europaweit haben Unternehmen Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen, weil ihnen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Die Folgen sind fatal: Die wirtschaftliche Entwicklung wird gehemmt, Innovationen werden ausgebremst. Innerhalb der Europäischen Union zählt Deutschland zu den Ländern, in denen die Quote unbesetzter Stellen besonders hoch ist.

"Der Fachkräftemangel wird für die Betriebe in Deutschland immer häufiger zum Engpass. Mehr als jedes zweite Unternehmen kann offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, weil es keine passenden Arbeitskräfte findet", sagt Oliver Heikaus, DIHK-Bereichsleiter Weiterbildung. Das gehe aus dem DIHK-Fachkräftereport von 2022 hervor. Am meisten mangelt es demnach an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit entsprechender beruflicher Qualifizierung, dicht gefolgt von Auszubildenden. Auf die Frage, welche Rahmenbedingungen verändert werden müssten, um offene Stellen leichter besetzen zu können, plädierten 46 Prozent der Unternehmen dafür, die Berufliche Bildung zu stärken.

Kontakt

Porträtfoto Susanne Schraff
Susanne Schraff Pressesprecherin

EU-Kommissionspräsidentin zur Aus- und Weiterbildung

"Wir müssen viel stärker in die Aus- und Weiterbildung investieren. Dazu wollen wir eng mit den Unternehmen zusammenarbeiten. Denn sie wissen am besten, welche Fachkräfte sie heute und morgen brauchen. Und wir müssen diesen Bedarf besser in Einklang bringen mit den Zielen und Wünschen, die Arbeitssuchende selbst für ihren Berufsweg haben."

Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union im September 2022 in Straßburg

Fachkräftesicherung im politischen Fokus – auch in Europa

Im Rahmen des Aktionsplans zur Europäischen Säule sozialer Rechte formulierte die EU-Kommission das Ziel, dass bis 2030 mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen jedes Jahr an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen sollen.  Bei der letzten Erhebung im Jahr 2016 lag der EU-Durchschnitt bei 38 Prozent.

Mit einer Quote von 67 Prozent hat Deutschland das Weiterbildungsziel für die Erwerbstätigen laut dem Adult Education Survey der EU bereits erreicht. Um die Aus- und Weiterbildung EU-weit zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu sichern, hat die EU-Kommission das Europäische Jahr der Kompetenzen ausgerufen, das mit dem Europatag am 9. Mai 2023 startete.

"Kompetenzen eröffnen Chancen für den beruflichen Aufstieg und für den Wechsel in aufstrebende, zukunftsfähige Branchen, und sie bieten die Möglichkeit, dort zu arbeiten, wo man möchte", betont Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte. Mehr Geld, mehr Verantwortung, positive Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung – nicht nur Unternehmen, sondern auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren von Weiterbildung. Das belegt auch die aktuelle DIHK-Erfolgsstudie Weiterbildung: "Die Befragung von 20.000 Absolventinnen und Absolventen einer Höheren Berufsbildung zeigt eindrucksvoll, wie sehr sich Weiterbildung für jeden Einzelnen lohnt", berichtet Oliver Heikaus. "Über 80 Prozent der Befragten berichten von beruflichen Erfolgen, die sich nach der IHK-Fortbildungsprüfung eingestellt haben."

Die Fachkräftezuwanderung stärken

Porträtfoto Dr. Oliver Heikaus, Bereichsleiter Weiterbildung

Oliver Heikaus, Bereichsleiter Weiterbildung

© DIHK / Marko Priske

Ebenfalls geplant sind EU-Talentpools. Sie sollen helfen, Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten anzuwerben. "Um den wachsenden Herausforderungen bei der Fachkräftesicherung zu begegnen, ist es wichtig, in den kommenden Jahren alle Potenziale zu nutzen", sagt Heikaus. Dazu gehöre beispielsweise, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren weiter zu erhöhen. "Wir sind aber auch darauf angewiesen, für ausländische Fachkräfte noch attraktiver zu werden und die Fachkräftezuwanderung zu stärken."

Derzeit gibt es ein Pilotprojekt für den EU-Talentpool mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Ein Online-Tool bringt ukrainische Arbeitsuchende und Arbeitgeber zusammen und ermöglicht es Betrieben, direkt nach Fachkräften mit passenden Kompetenzen und Qualifikationen zu suchen. Darüber hinaus wird die EU-Kommission eine Initiative zur Verbesserung der Anerkennung von Qualifikationen von Drittstaatsangehörigen vorschlagen, um Arbeitskräfte mit den benötigten Kompetenzen zu gewinnen. Außerdem sollen die Fachkräftepartnerschaften mit ausgewählten Partnerländern außerhalb der EU gestärkt werden.

Oliver Heikaus zum EJdK

"Das Europäische Jahr der Kompetenzen ist eine wichtige Initiative der EU. Denn es stellt die immer größer werdende Herausforderung der Fachkräftesicherung in den politischen und öffentlichen Fokus."

Oliver Heikaus, DIHK-Bereichsleiter Weiterbildung

EU-Kommission zum EJdK

Kompetenzen vor Ort konsequenter auszubauen, dieses Ziel verfolgt die EU-Kommission mit dem im Frühjahr 2023 ausgerufenen Europäischen Jahr der Kompetenzen. Wie sie mit zahlreichen lokalen und regionalen Partnern für den neuen Schwung in der Weiterbildung sorgen möchte, erfahren Sie auf der Website der EU-Kommission.

IHKs als Ansprechpartner in Sachen Weiterbildung

Auch die IHK-Organisation beteiligt sich mit zahlreichen Veranstaltungen zu bildungsrelevanten Themen am Europäischen Jahr der Kompetenzen. Daneben unterstützen die IHKs vor Ort wie gewohnt die Betriebe bei der beruflichen Weiterbildung ihrer Beschäftigten mit ihren Prüfungs- und Beratungsangeboten zur Weiterbildung. Je nach regionalem Bedarf der Unternehmen treten viele IHKs selbst als Anbieter beruflicher Weiterbildung auf und haben beispielsweise Vorbereitungslehrgänge auf Prüfungen in der Höheren Berufsbildung oder Zertifikatslehrgänge zu aktuellen, von den Betrieben nachgefragten Themen wie etwa KI im Portfolio.

Einen generellen Überblick über den Weiterbildungsmarkt in den Regionen bietet das Weiterbildungsinformationssystem der IHKs (WIS) unter wis.ihk.de.

"Führungskräfte spielen eine erhebliche Rolle bei der Kompetenzentwicklung"

Interview mit der DIHK-Bildungsausschussvorsitzenden Swaantje Creusen

Im Interview spricht die Vorsitzende des DIHK-Bildungsausschusses Swaantje Creusen darüber, welche Rolle die Aus- und Weiterbildung bei der Fachkräftesicherung spielt und was sie sich von der europäischen Politik wünscht.

Porträtfoto Swaantje Creusen

Swaantje Creusen

© Dehner

Frau Creusen, die BayWa r.e. AG, für die Sie als Global Head of Organizational Development tätig sind, konzentriert sich auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Wie sehr spüren Sie den Fachkräftemangel in Ihrer Branche?

Swaantje Creusen: Hinter dem Bau und Betrieb eines Solar- und Windparks stecken hochsensible Prozesse, für die wir Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Projektleiterinnen und Projektleiter mit großem Know-how brauchen. Sind diese auf dem Markt nicht zu haben, gerät der gesamte Prozess ins Stocken. Wir sind sehr erfolgreich, aber wir brauchen Fachleute, um den Wandel des Energiesystems weiter voranzutreiben. Der Mangel an Personal mit entsprechendem Fachwissen ist so groß, dass es allgemein schon jetzt in der Branche schwierig ist, bestimmte Projektvolumina zu bearbeiten. Dort, wo es um innovative Entwicklungen wie beispielsweise Energiespeichersysteme geht, ist die Lage noch herausfordernder. Auch passende Nachwuchskräfte zu finden, gestaltet sich zunehmend schwieriger.

Würde eine vereinfachte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland die Situation entschärfen?

Die bürokratischen Hürden sind definitiv hoch und die Vorschriften hinsichtlich Sozialversicherung, Steuern, rechtlichen Aspekten et cetera sehr komplex. Selbst die Einstellung von Fachkräften aus dem europäischen Ausland ist für Unternehmen mit einem enormen Aufwand verbunden. Mein Wunsch an die europäische Politik wäre, diesen Aufwand zu verringern und das Verfahren zu vereinfachen.

Und welche Rolle spielt die Kompetenzförderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Fachkräftesicherung?

Natürlich kann man Fachkräfte mit dem Wissen ausstatten, das ihnen noch fehlt, und Qualifizierungslücken mit Hilfe entsprechender Weiterbildungen schließen. Für Unternehmen ist es unerlässlich, dass sie interne wie auch externe Weiterbildungen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten, denn am Ende lohnt sich die Investition von Zeit und Geld für beide Seiten.

Wer ist Ihrer Erfahrung nach leichter zu motivieren, wenn es um die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen geht – erfahrene oder jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Junge Menschen haben eine hohe Motivation durch die erst junge Karriere, natürlich auch in Hinblick auf eine Gehaltsentwicklung. Für langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen finanzielle Aspekte eher eine untergeordnete Rolle, hier braucht es andere Motivatoren und Herangehensweisen.

Inwiefern?

Für erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte bieten Konzepte wie "Peer Learning", Mentoring oder "Network Learning", die das Mit- und Voneinander-Lernen in den Vordergrund stellen, häufig interessantere Ansätze als eine weitere Schulung oder ein weiterer Lehrgang. Allerdings lassen sich die Kenntnisse, die hierbei erworben werden, schwer nachweisen. Da bräuchte es ein anerkanntes Qualifizierungssystem.

Welche Rolle spielen Führungskräfte beim Thema Kompetenzentwicklung?

Eine erhebliche! Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu zu motivieren, sich weiterzuentwickeln, braucht es inspirierende Führungskräfte, die diese Bereitschaft zum Lernen ebenfalls mitbringen. Nur wer selbst immer wieder seinen Status quo überprüft, kann das auch von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten. Bisher war es oft so, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem meisten Fachwissen und der höchsten Leistungsbereitschaft zur Führungskraft befördert wurden. Das sind aber nicht zwangsweise die inspirierendsten Leader. Deshalb plädiere ich dafür, auch Führungskräfte weiter zu qualifizieren – denn damit werden Unternehmen für die so dringend benötigten Fachkräfte attraktiv.

GemeinsamMehrUnternehmen